Ein Durchgang durch Realitäten aus meiner Sicht - Blog von Ulrich Bauer (Ergänzt ubpage.de)
Sonntag, 22. Mai 2016
Krankheit, Mensch, Normalität
Es ist doch eine vollkommen unsymmetrische
Kommunikationssituation: Der sogenannte Patient ist unter Umständen
ganz plötzlich aus allen Selbstverständlichkeiten und seiner
alltäglichen Normalität heraus gerissen. Die Schwestern und Pfleger
hingegen erleben eine solche Situation jeden Tag, für sie ist der
Patient einer unter vielen, er symbolisiert den „ganz normalen“
Alltag. Sozusagen eine Durchlaufposition. Im Bewusstsein. Im
Empfinden. Das Gesicht des Patienten wechselt zwar, aber er scheint
doch immer der gleiche zu sein. Von diesem Patienten aus gesehen ist
alles hingegen einmalig. Auch die Gesichter seiner Pfleger sind das.
Er ist vielleicht in eine absolute Ausweglosigkeit gestoßen, in eine
Einmaligkeit, die sogar, wenn's schlecht läuft, in den Tod führen
kann, - die gröbste und elementarste Einmaligkeit, die einem
passieren kann.... Schwestern und Pfleger treten im Krankenhaus ihm gegenüber aber als
Vertreter der „Normalität“, des „Lebens draußen“ auf. Sie
sind jenseits der Mauer, die sich plötzlich zwischen einem selbst
und „den anderen“ (den sogenannten Gesunden) auftut. Und
tatsächlich, sie, die Schwestern und Pfleger schalten nach
Dienstschluss sehr schnell ab und sind wieder ganz draußen aus
dieser abgeschlossenen Welt des Krankenhauses, in dem ganz andere
Bezüglichkeiten und auch Abhängigkeiten gelten. Sie sind ja sowieso
überlastet und sollten sehen, wie sie alles aushalten. Jawohl, der
Patient ist in vielem sehr abhängig von seinen Schwestern und
Pflegern. Er ist ihnen ausgeliefert. Es entsteht möglicherweise
dadurch eine Vertrautheit, die aber keine ist, sobald eine andere
Situation eintritt. Es ist ein sehr seltsames Gefühl. Mit Entlassung
aus dem Krankenhaus ist man dann ein anderer, es sind diejenigen, die
einen gepflegt haben, andere.... als würde ein Schalter umgelegt. Ob
man das als Schwester und Pfleger empfindet? Diese Situation? Gibt es
eine Art Mitgefühl? Gibt es Mitleid? Oder gibt es - viel besser -
eine Art „Mitleiden“. Sich in jemand hinein versetzen. Im
Englischen gibt es das Wort „Compassion“, das auch in anderen
Kulturkreisen eine wichtige Rolle spielt und ein sich in jemanden
anderes hineinversetzendes Mitleiden meint. Ich habe schon einmal
mit einer Schwester darüber gesprochen. Sie meinte, man könne sich
so etwas nur sehr eingeschränkt oder gar nicht erlauben. Sonst ginge
man kaputt. Die Distanz zum Schicksal des Patienten sei eine Art
Selbstschutz. Das Abschalten. Das Sich Distanzieren. Das ist völlig
nachvollziehbar. Vom Verstand her. Aber es sehen einen doch Augen
an!! Kann man sich emotional auch in dieser Situation distanzieren?
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