Reise durch Wirklichkeiten

Mittwoch, 30. November 2022

Fußballerauskenner

„Brot und Spiele – Wohlstand und Fußball“. Und alleine schon die Sprache! „Wir (!) spielen heute mit 2 Spitzen“, „Wenn wir (!) heute….“ Das „Wir“ ist das wichtige! Wir feiern auf vielerlei Arten die Orgie des Nationalismus: es werden Fahnen gehisst und Hymnen gesungen. In den Medien umwirbeln sie uns ohnehin pausenlos mit der großen Fußball-Wahrnehmungsblase: ModeratorInnen, ReportInnen, ExpertInnen, - die Gegenoffensive des großen Verdängens und Dampfablassens ist längst gestartet, was kümmern uns da die paar Toten auf den Baustellen oder sowas Abstraktes wie die Menschenrechte, den Spass wenigstens wird man uns ja noch gönnen in all dieser freudlosen Zeit! Verständigung findet hauptsächlich im Fußball-Slang statt, der Spezialsprache der „Auskenner“. Wir sitzen hier in Mitteleuropa bis jetzt in der Blase der Selbstzufriedenheit…. wir tauschen Tipps, Spezialwissen und Experten-Meinungen aus…...

Dienstag, 29. November 2022

Im Labyrinth

Labyrinthe faszinieren immer noch. In jeder Form. Wie sind sie gestrickt? Was bewirkt ihre Wirkung auf uns? Was sagt beispielsweise die Antike zum Symbol des Labyrinths? Unter anderem bedeutet es Initiation, Einführung in die Welt. Es ist ein Ort des vertraut Werdens mit der Tradition des Stammes und der Selbsterfahrung. Der Weg ins Zentrum ist mühsam und verlangt eine gewisse Reife. Im Zentrum ist der Mensch vollkommen mit sich alleine. Die Umkehr und das Heraustreten bedeuten einen geläuterten Neubeginn. Der Weg!? Wo ist er? Es ist der symbolische Pfad des Lebens: Anfang und Ende, verschlungener Weg und klares Ziel sind in der Form des Labyrinths inbegriffen. Das Leben schafft das Bewusstsein eines Kreislaufs: In alten Kulturen existierte ein Glaube an den ewigen Kreislauf von Leben. Jahreszeiten. Geburt und Tod. Der Weg führt in den Tod und daraufhin in die Wiedergeburt (Umwendung im Zentrum und Ausgang aus dem Labyrinth). Heraklit sagt: „Der Weg hinab und der Weg hinauf ist derselbe“. Das Labyrinth ist aber auch eine magische Figur, die einen unangreifbar machen soll. Der Feind wird auf den langen und verschlungenen Wegen entmutigt und erschöpft.

Montag, 28. November 2022

Spielverderber

„Spielverderber“, „Negative“ und „Miesepeter“: Wenn wir uns mit ihnen umgeben, schaden wir uns selbst. Bedenkenträger, Spaßbremsen. Habe ich eben gelesen. Problem: das Etikett „negativ“ kann jeder allen anhängen. Kritik wirkt oft negativ. Dem Geist entsprungen, "der stets verneint“? Ist es ein Ausweg, Kritik ganz zu meiden? Wenn aber gewisse Dinge so sind, wie sie sind? Wenn unser Urteil darüber negativ ausfällt? Nicht mehr äußern, damit wir positiver rüberkommen? Bloß mit niemand darüber reden, damit man nicht als sich dauernd wiederholender Bremser wirkt? Das schadet unserer Seele und unserem Körper? Ob die Ursachen uns auch schaden? Das, über was kommuniziert wird? Ob manche Elemente unserer Umwelt durchaus negativ sind und ob es nicht so etwas wie eine befreiende Wirkung hat, wenn wir über das mit anderen Menschen kommunizieren, die direkt oder indirekt denselben Einflüssen ausgesetzt sind? Wenn wir uns darüber einig sind? Über die Folgen können wir dann ja immer noch verschiedener Meinung sein. Jaja, es sind nicht immer „die anderen“. Manchmal sind wir selbst es. Ist doch klar. Wenn wir einigermaßen reif sind, dann denken wir das immer mit. Selbstverständlich. Wer dauernd das Gegenteil unterstellt, unterschätzt sein Gegenüber. Die Welt ist schön, wir müssen das nur erkennen. Der Auseinandersetzung mit solchen Sprüchen hilft die Lektüre von Aldous Huxleys 1932 erschienenes Buch „Schöne Neue Welt“ etwas auf die Sprünge.

Samstag, 26. November 2022

Wahrnehmungen

Ich versuche, „von unten“ die Wirklichkeit wahrzunehmen. Auch nicht durch die Brille der Idiologie oder der angeblichen Wissenschaft (= „von oben“, deduktiv). Dieser Blick ist naturgemäß „gefärbt“ durch die gesellschaftliche Schicht, aus der man kommt. Auch dies versuche ich (was oft nicht gelingt) zu vermeiden, weil ich die Gefahr sehe, die darin liegen kann. Selbstverständlich bin ich auch durch Zufälle geprägt, - was erhebliche Konsequenzen haben kann. Ich behaupte für mich jedenfalls keinerlei repräsentative Gültigkeit, nirgends. Was ich spiegle, ist meine Erfahrungswelt und das, was in mir daraus entsteht. In diesem Sinne handelt es sich hier in diesem Blog um keinen Journalismus, der ja auch im Zeitalter der „sozialen Medien“ immer auf seine Nachprüfbarkeit Wert legt und jedes subjektive Ansinnen von der Hand weist. Ich versuche wiederzugeben, was mir „durch den Kopf geht“ und mich zum Medium der Wahrnehmung macht. Das geht doch vielen Leuten so. Von was ist man bestimmt? Welche Informationen brechen auch per Fernsehen auf einen herein? Per persönlicher Unterhaltung, Zeitungen, Bücher etc.? Was erschließt man sich dadurch? Welche Erfahrungen macht man mit Behörden und staatlichen Stellen? Ist doch klar, dass so etwas nicht allgemeingültig sein kann.

Freitag, 25. November 2022

Andere Blickwinkel

Man ließ sich eine Weile darauf ein, im Bewusstsein, jederzeit in das Auto zu steigen und in die reale Wirklichkeit zurückkehren zu können. Andere Blickwinkel, vertauschte Perspektiven: „Geld macht frech und arrogant“, die Stimme dieses Benediktiners hallte uns in dieser von hunderten von Jahren durchtränkten Akustik deutlich in den Ohren und schien dadurch etwas von jener gnadenlosen Objektivität zu gewinnen, die die Ketzer und Hexen vergangener Zeiten geradewegs auf den Scheiterhaufen gebracht hatte. „Ich glaube nicht, das uns das verändern würde. Wir sind doch immer dieselben, egal in welcher Umgebung wir uns gerade befinden“, hatte sie dazu gesagt, als wir beide noch ganz alleine über die Schönheit dieses sakralen Raums gestaunt hatten. Meine Partnerin meinte: „Und im Übrigen: Ich meditiere jeden Morgen eine halbe Stunde. Früher habe ich dabei feste Regeln eingehalten. Heute sehe ich das lockerer...“. Sie hatte Recht. Da gab es überraschende Parallelen zu einer Mönchsexistenz. Sich in ein Regelwerk der inneren Versenkung begeben. Das war der Ausgangspunkt. Sie, die quirrlige, unstete und vitale Person, sie brachte es offenbar fertig, sich regelmäßig in sich zu versammeln und zu einer eigenen Ruhe, ja vielleicht gar zu sich selbst zu finden. Sie hatte ein Ritual daraus gemacht, das mutmaßlich ihren Tag strukturierte. Sich souverän diesen scheinbaren, dich umgebenden Sachzwängen zu entziehen, von denen du dich strangulieren lässt, das wäre es - so fuhr es dir durch den Kopf. Sich dieser Trägheit zu entziehen, die dich in ihren Fängen hält, - seit Jahren. Eigentlich bist du selbst ja der kontemplativere Mensch von uns beiden. Und sie ist der aktive Mensch. Idealtypisch gesehen. Eigentlich wäre die Versenkung dein Fach.

Donnerstag, 24. November 2022

Egostyling

Ob man an der Außenlinie steht, im Diogenes-Fass liegt oder schlicht „den Beobachter“ gibt: Man will ja nicht fortwährend als Nörgler, Negativist oder Kulturpessimist beschimpft werden, was zudem auch noch „typisch deutsch“ sei. Aber als Analyst der Wirklichkeit kommt man nicht umhin, festzustellen, dass sich die Leute in den Industriegesellschaften immer mehr stylen, designen, dass sie auch durch ihr Äußeres einen bestimmten Eindruck hinterlassen wollen. Gerade durch ihr Äußeres. Botox ist gesellschaftsfähig geworden und Behandlungen damit sind minimal-invasiv, scheinbar harmlos und im Preis längst so gesunken, so dass sie sich nahezu jeder leisten können müsste. Leute wie Berlusconi gaben da jüngst einen Anstoß. Gab es früher noch die vielen abschreckenden Beispiele von alternden Schauspielerinnen mit zu viel Geld („Maskenbotox“), so wird die Anwendung von einschlägigen Dermatologen heute viel raffinierter ausgeführt. Man will ja nicht so aussehen, als sei man mit Botox behandelt. Man will vortäuschen, jung geblieben zu sein, sich gut gehalten zu haben. Botox, was ist das eigentlich? Ein ziemlich hartes Nervengift, - so könnte man zur Auskunft geben. Ein Gift, das im Krieg als Biowaffe eingesetzt werden soll. Biogift. Tierversuche waren und sind anscheinend immer noch nötig (damit auch bisher unbekannte Hersteller auf den Markt drängen können...), damit die Schönen ihre Haut auch schön glatt haben. Der Clou bei Botox ist, dass es zwar nicht süchtig macht, aber immer wieder erneuert werden muss, weil der Körper es ja abbaut (was so falsch nicht ist...). Insofern ist es ein Gewinnbringer erster Güte und eine nie versiegende Geldquelle für einschlägige Ärzte. Alarmierend dabei ist, dass die Empathie mit zunehmendem Botoxgebrauch abzunehmen scheint, da lebendige Gesichtszüge auch emotionale Botschaften übermitteln. Ob man das noch braucht? Botox könnte insofern dazu beitragen, dass das gesellschaftliche Klima kälter wird. Gleichbleibender. Gleichgültiger. Es gilt offenbar immer mehr, einen bestimmten Eindruck beim Gegenüber zu hinterlassen. Devise: Möglichst positiv und jung und dynamisch sein, mit einoperiertem Lächeln, gar nicht negativ, nörglerisch, melancholisch oder gar alt. Außerdem hat sich der soziale Druck zunehmend etabliert, sich mit Botox und anderen Schönheitstechniken behandeln zu lassen. Wer etwas auf sich hält, macht das. Es gilt: „Etwas aus sich machen“. Der Druck auf diejenigen, die natürlich altern wollen, wird noch weiter wachsen. Jeder soll selbst verantwortlich sein für sein diesbezügliches Erscheinungsbild. Egostyling. Machen. Manipulieren.

Mittwoch, 23. November 2022

Valerie (52)

„Tja, und dann sind da noch die Rollen, in denen man versucht hat, gut zu sein, alles zu geben. Rollen, in denen du dir selbst näher warst. Eine Zeit lang mit diesen Gedanken in diesem Körper, mit allem, was du hast. Diese Gedanken, die ein Teil von dir geworden sind, die dich verfolgen, durch die Augen der Leute hindurch, die in und durch ihr eigenes Phantasieprodukt gehen. Aber ich glaube, manche der Kollegen haben Routinen darin entwickelt, mit dem fertig zu werden und das nicht zu wichtig werden zu lassen. Sie hatte bei ihrem Aufstieg sicher eine starke erotische Ausstrahlung, dieses ungewisse Etwas, was Andere nicht hatten. Gleichzeitig musste sie sich aber den Weg mit verschiedenen Mitteln frei gekämpft haben. Sie erzählte ihm von einer Schauspielschule, die sie in den USA besucht habe und die gute Schauspieler wie am Fließband produziere, von Managern, die sie ab einem gewissen Zeitpunkt planmäßig aufgebaut hätten, wie sie am Anfang versucht hätten, in die Schlagzeilen der einschlägigen Gazetten zu kommen und wie man, nachdem dies geschafft war, danach darauf bedacht war, nicht daraus zu verschwinden. Wozu man sich immer wieder Publicity-Gags einfallen ließ. Er wunderte sich über die Offenheit, mit der sie zu ihm sprach. Sie hingegen schien das alles für normal zu halten.

Dienstag, 22. November 2022

Arbeitsethos

Wie eigentlich ist diese, jetzt so hochgelobte Gesellschaft (noch!) strukturiert? Deren freiheitliche Verfassung wir so sehr schätzen? Welche Rolle spielt darin die Arbeit und was ist sie überhaupt? Die hohe Wertschätzung der Arbeit entspringt der industriellen Revolution und ist gerade mal 200 Jahre alt. Zum Beispiel in der Antike war es verwerflich, sein Leben der Arbeit zu widmen. Eine niedere Tätigkeit. Der wahre Mensch hatte Besseres im Sinn. Etwa für Aristoteles war Arbeit, die mit Mühsal verbunden war, an die Sklaven delegiert. Erst mit der Verbreitung des Christentums hat der Begriff der Arbeit nach und nach seine Aufwertung erhalten. Berühmt ist der Satz des Apostels Paulus „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Das Christentum hat die Arbeit hoch eingeschätzt. Aber gerade nicht in dem Sinne, dass sie ein Medium der Selbstverwirklichung sein solle oder der Mensch sich dadurch geradezu „erschaffe“. Luther schätzte die Arbeit als „Gottesdienst im Alltag“ ein. Beim großen Autoren und Soziologen Max Weber (1864-1920) wurde dann der Protestantismus geradezu ein Wegbereiter des Kapitalismus. Innere Disziplin wurde in diesem Zusammenhang immer wichtiger. Dazu gab es auch äußeren Druck. Ein 16-Stunden-Tag war in den Industriebetrieben des 19. Jahrhunderts die Norm. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung wurde also in der Folge sehr wichtig. Es bildete sich eine „Arbeiterkultur“, etwa mit ihren Bildungseinrichtungen, heraus.Im Grunde schrieb aber die gesamte Vormoderne der Arbeit keinen hohen Wert zu. Arbeit ist etwas für die Nichtbürger, so die gängige Einstellung. Eines wird die Digitalisierung wohl bringen: Die „niederen und miesen“ Arbeiten können beruhigt von Robotern erledigt werden. Dies würde einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten. Wir wären endlich in der Lage, gesellschaftlich wichtige Arbeit wie etwa „Beziehungsarbeiten“ (Pflege usw.) so hoch zu bewerten, wie es nötig wäre. Wer welche Arbeit macht und machen soll, war jedoch in der Geschichte einem ständigen Wandel unterzogen.

Montag, 21. November 2022

Allein, allein

Du entdeckst es zunehmend und es wird dir zunehmend bewusst, dass du alleine bist. Hattest du in der Vergangenheit stets Leute um dich herum, die du als viel zu viele empfandest, so gibt es diejenigen jetzt gar nicht mehr. Man hat sich abgesetzt vom Mainstream, ohne dass man das so richtig merkte. Es gab eine Entwicklung um dich herum, deren Eigenheit du mal wieder nicht so recht mitbekamst. Immer wieder hört man von Menschen, die verreckten und die erst bemerkt wurden, als es anfing, unangenehm zu riechen. Nachbarn? Hier unsichtbar. Aber sie würden antworten, dass man mich in letzter Zeit kaum mehr gesehen habe. Man wisse kaum, wer was mache und warum. Tatsache scheint zu sein, dass für die meisten Menschen „Freunde“ allgegenwärtig sind und Ablenkungen zuhauf verfügbar sind. Wer eigentlich darf da bei sich selbst sein? Klar, so etwas kann auch lobesam sein. Doch die Zeiten, als der Schriftsteller Gottfried Benn „Wer allein ist, ist auch im Geheimnis.“ behaupten durfte, sind wohl im Zeichen einer allgemeinen Vergesellschaftung vorbei. Single sein. Sich selbst genügen, das freilich schließt einen von der großen Vernetzung aus. Eremitage. Mönchtum. Vor einiger Zeit und dann in Corona-Zeiten war es sehr angesagt, in Klöstern zu verweilen, die Stille dort neu kennen zu lernen, die Stille auszuhalten. „Auszeit auf Zeit“ war meist sehr teuer und beinhaltete oft auch noch andere Wellness-Wohltaten im Zeichen religiöser Erbauung. Doch was ist die Realität? Einsame und alleinstehende Menschen gelten als Sonderlinge. Reinschauen bei Edward Hopper: Menschen ohne soziale Bindungen sitzen dort alleine an der Bar, leicht bekleidete Damen machen geschlechtlichen Betrieb, bieten Attraktionen der glitzernden Oberfläche. Man sinkt ab in Wein und Zerstreuung, in Schein und Schalk.

Sonntag, 20. November 2022

Blauspecht (MP3)

Samstag, 19. November 2022

Auto und Mat

Ich fahre draußen und schaue mir die Autos, die mir begegnen, unter einem bestimmten Aspekt an. Es sind meist globalisierte Autos, d.h. ohne Ecken und Kanten, ohne Identität, ohne Typisches, denn sie sollen sich in allen Ecken dieser Erde gleich gut verkaufen. Geschmäcker sind verschieden. Also solle man sich damit nicht so weit aus dem Fenster lehnen, - das scheint das Prinzip. Oft sind diese Autos aus einem Baukasten der Teile gefertigt. Was sie unterscheidet, ist meist die Konfiguration, die spezielle Zusammensetzung. So sind sie alle gleich und scheinen doch sehr individualisiert. Diesen Prinzips bedienen sich auch die Hersteller, indem sie etwa Motoren (aber auch andere Teile) von anderen Marken ankaufen, indem sie Partnerschaften eingehen und gemeinsame Teile nutzen, die durch die Zulieferer ohnehin schon stark normiert sind. Autos sind somit ein Symbol dieser Gesellschaft. Es geht um Scheinindividualitäten: gewisse Teile eines Baukastens werden ausgetauscht, anders kombiniert und nach außen als neu verkauft: sie scheinen auf diese Weise eine neue Identität vorzugaukeln....dabei ist der „Baukasten“ sogar über Marken hinweg immer derselbe. Doch der Konsument sucht Identität, die ihm auf diesem Wege verkauft wird. Er identifiziert sich mit einer Marke, sie symbolisiert seinen Traum, sein Ziel, er will damit stärker und schneller sein, als die anderen. Er will „das Besondere“ und hat doch einen Artikel „von der Stange“.

Freitag, 18. November 2022

Befreit?

Ob wir das Freiheit nennen sollten? Da ist beispielsweise die Entscheidung, wo jemand sich beerdigen lassen will, zu welcher Gemeinschaft er sich dadurch bekennen oder nicht bekennen will: es gibt also eine Wahl, der sich ein modernes Individuum überall stellen muss. Nicht mehr die Tradition organisiert ein Leben. Dadurch wird keine bestimmte und relativ genau definierte Rolle mehr angeboten, sondern Individuen müssen ständig selbst entscheiden, wer und was sie denn in welchem Zusammenhang sein wollen. Dazu sind wir befreit, aber auch verdammt und verurteilt. Jeder muss sich selbst zu einem „Projekt“ machen, wodurch auch das Risiko des Scheiterns dramatisch steigt. Mutmaßlich hat man unendlich viele Wahlmöglichkeiten, wodurch sich das eigene Leben aber als fortwährend begrenzt erweist. Dies zieht natürlich entsprechende Frustrationen nach sich, was die sogenannte „Frustrationstoleranz“ immer wichtiger werden lässt. Es geht bei diesem Begriff darum, gewisse Fehlschläge in mannigfacher Hinsicht verkraften zu können, mit Bedürfnisverweigerungen von Seiten der Umgebung zurecht zu kommen und die Schere zwischen dem, was man hätte erreichen können, und dem, was man erreicht hat, besser aushalten zu können. Aber auch das Bedürfnis nach Sinnfindung ist allgegenwärtig. Sinn wird dabei vor allem im persönlichen Bereich gefunden, unter anderem in einem sehr individuell angelegten Glauben an Werte und Normen, der als individuell veränderbar und meinem Profil anpassbar erscheint. Gleichzeitig wächst aber auch der Druck, etwas aus seinem Leben machen zu müssen. Ein Leben in Sicherheit? In mir angemessenen Formen? Ob meine Kraft dafür ausreicht? Wie kann ich angesichts dessen bestehen? Was wird aus mir und wann werde ich es? Wie kann ich mich möglichst optimal entwickeln? Menschen am Anfang ihrer bürgerlichen Existenz und ihres nach einer Initiation wahrgenommen Lebens müssen Antworten ganz alleine finden. Dabei wächst das Bedürfnis nach einem Orientierungsrahmen, einer Vorgabe von außen, die klare Richtungen weist. Selbstbestimmung erweist sich insofern auch als dauernde Last, wird zu einer Aufgabe, der jemand ständig nicht genügt. Orientierung und Reduzierung der Unübersichtlichkeit des Lebens ist gefragt: Freunde und Familie sind hierzulande in diese Rolle der Beratungsinstanz geschlüpft, die anderswo die Religion ausfüllt.

Donnerstag, 17. November 2022

Vogelherd

Wir haben den Archaeopark Vogelherd oft besucht, haben die Fundstücke und die Fragen, die sich daran geknüpft haben, auf uns wirken lassen. Es wurden hier unglaublich beeindruckende Stücke aus der Eiszeit gefunden, die uns über die Entstehung von Kunst und Musik nachdenken ließen und als Belege für das Auftreten von Religion gelten dürfen. In Blaubeuren sahen wir einst den „Löwenmenschen“, der hier gefunden wurde und dessen fotografische Reproduktion seitdem auf unserem Schreibtisch steht. Wir hörten auch die ca. 40 000 Jahre alte Flöte, die hier gefunden wurde und die wohl auf einen Anfang der Musik hindeutet. Es bestärkte sich hier in uns ein Bewusstsein dafür, das wir als Menschen auf den Schultern unserer zeitlich weit entfernten und doch so nahen Vorfahren stehen. Offenbar ist es anderen Leuten auch so gegangen, denn der Archaeopark war gut besucht, die Zahlen stimmten. Und jetzt die schockierende Nachricht: Der Archaeopark Vogelherd soll geschlossen werden, ja, er ist inzwischen geschlossen und die Mitarbeiter entlassen, weil das Geld dafür fehlt. Wir konnten das anfangs nicht glauben. Es wirkte auf uns surreal, geradezu grotesk. Irgendwelche Vergnügungsparks tuckern vor sich und ziehen die Massen, während hier geschlossen werden soll. Unglaublich. Diese Vergangenheitsvergessenheit auf der Ostalb ist unbegreiflich trotz aller Krisen der letzten Zeit. Eigentlich wähnte ich das Anliegen in guten Händen: es gab einen Ministerpräsidenten, der sich dafür einzusetzen schien und der offenbar sehr wohl bewerten konnte, dass das Land Baden-Württemberg den ungeheuren Wert, den dies darstellt, gut einschätzen kann. Es geht um das Selbstbild des Landes, das sich ja rühmt, Kultur- und Wissenschaftsstandort zu sein. Und darum, dass die Repliken der als „UNESCO-Weltkulturerbe“ ausgelobten Ort dieser Fundstücke überall auf der Welt gezeigt werden und somit einen unschätzbaren Wert für das Land darstellen dürften. Und nun dies! Unglaublich!

Im Dauerlächeln

Was mir beim Fernsehen aufgefallen ist, was mich langsam stört, weil es auf die Dauer derart verlogen ist: Dieses Dauerlächeln. In der Politik kommt es oft in Verbindung mit Handshakes geradezu zwanghaft. Die Entscheider befleißigen sich oft solchen Verhaltens. Im Showgeschäft scheint's zum Handwerk zu gehören. Kaum jemand zeigt da authentische Gefühle. Alles ist gespielt und aufgesetzt. Cheese als Maske. Eine sehr offensichtliche Lüge (die wohl den sozialen Umgang erleichtern soll, in Wirklichkeit erschwert sie ihn manchmal...). Alles gut? Wir regeln das. In unserem Sinne. Wir lächeln alles weg (und heben im Amerikanischen dazu den Daumen...). Strahlemann bringt Optimismus in düsterste Umgebung. Lächeln ist Verkaufen. Sich. Seine Sache. Einer Sache ein lächelndes Gesicht geben. Ein Lächeln kann nahe legen, dass man sich vertraut und bereit ist, etwas zu teilen. Aber selbstverständlich. Außerdem scheint die allgemeine Erwartung nahe zu liegen, man würde mit den eigenen Emotionen nicht hinter dem Berg halten. Vor allem nicht mit den positiven. Zu den unausgesprochenen Regeln gehört es dann auch, selbst Unbekannten ein Lächeln zu schenken. Es gilt unausgesprochen und unbewusst als ein Ausweis der Vertrauenswürdigkeit und der Menschlichkeit. Ob so etwas auch zum allzu offensichtlichen Gebrauch von "Fake News" und "alternative facts" beigetragen hat? Ob die Werbung da allzu gerne dabei ist?

Dienstag, 15. November 2022

Talkshow

Nach ähnlichem Muster läuft allzu Vieles im Bereich der Talkshows ab. Die vergangene Woche bot wieder einmal Anschauung: Beteiligt sind an TV-Talkshows meist Vertreter öffentlicher Meinung, denen vom Moderator dann prompt attestiert wird, dass sie ein tolles Buch auf den Markt gebracht hätten. Die betreffenden prominenten Namen und Gesichter von Meinungsvertretern fallen einem sofort ein, weil man sie bei zahlreichen Auftritten in allen TV-Kanälen auswendig gelernt hatte und weil sie wegen der Häufigkeit ihrer Auftritte geeignet waren, einem Zweifel an der Auswahlkompetenz von großen Redaktionsstäben aufkommen zu lassen. Darüber hinaus treten bei solchen „Runden“ oft Komödianten (zur Unterhaltung!), Wissenschaftler und Egoshooter auf, die gegensätzliche Meinungen zur Belebung der Diskussion vertreten. Aktuell: Ein Vertreter der Automobilindustrie sagt zu allem und allen „Grenzen des Wachstums“-Vorschägen Ja und Amen, bekräftigt es sogar mit vielen hastig gesprochen und grinsend bekräftigten „Ja“, obwohl er selbst als „Entscheider“ die industrielle Expansion in autokratischen Systemen wohl heftig betrieben (was er nun zum Lobe und Preise von Abhängigkeiten in globalen Systemen verklären will…), eine gravierende Abgaslüge auf Kosten der Umwelt und der „Verbraucher“ vertuscht hatte und wahrscheinlich entscheidend dazu beiträgt, dass die Automobilindustrie sämtliche Klimaziele verfehlt. Auch waren offenbar die Klagen von Geschädigten in Deutschland von teuren Anwälten auf arrogante Art abgeschmettert worden. Der anwesende Egoshooter lobt sodann seine eigenen Aktionen im kommunalen Rahmen, wozu er auch trotz aller Einwände in seinem Ort den Beifall vom davon weit entfernten Autovertreter und dem Diskussionsleiter erhält.

Sonntag, 13. November 2022

Freiheit?

US-Amerikaner betonen gerne, das man gemeinsame Werte habe. Dazu zähle etwa „Freiheit“. Für uns scheint das hier ein tausendfach schillernder Begriff, für Amis scheint das sehr einfach zu sein. Ob sie wohl realisiert haben, dass sich diesbezüglich einiges geändert hat seit Kriegsende? Dass der CIA in vielem dem KGB entspricht? FBI, NSA usw. Dass dieses „Pursuit of happiness“ de facto inzwischen nur noch einer kleinen besitzenden Klasse von Menschen zugestanden wird? Die US-amerikanische Gesellschaft hatte wohl eine Phase, als sich die sozialen Gegebenheiten ein bisschen nivellierten. Diese Phase ist längst vorbei. Jawohl, sie helfen uns, weil wir in Europa feige sind. Sie selbst freilich bezeichnen gewaltige und abstoßende soziale Ungleichheiten und ungezügelten Waffengebrauch als „Freiheit“. Waren sie einmal ein Hort der Demokratie? Ja, viele sehr wohlmeinende Amerikaner hatten sich dem verschrieben, als sie Deutschland vom Faschismus befreiten. Ihr Lob sei gesungen hier! Doch spätestens seit der Erstürmung des Kapitols dürften daran Zweifel entstanden sein. Man glaubt, sogar die Wirklichkeit nach seinen Vorstellungen "designen" zu können. "Fake News". Die Amerikaner spielen sich gegenseitig "Freiheit" vor oder das, was dafür gehalten werden soll. Sie waren immer schon Fan des schönen Scheins. Dabei glauben sie geradezu religiös an eine uralte Verfassung, die zwar gut aber nicht der Zeit angepasst ist. Die gewaltige geisteswissenschaftliche Geschichte hier in Europa schreibt auch ihre zahlreichen Notizen zu dem so simpel verwendeten Begriff „Freiheit“. Skepsis klingt durch, Ironie und Respekt. Unabgeschlossenheit. Offenheit. Wir sind anders als die Amis und wir sind das aus gutem Grunde.

Samstag, 12. November 2022

Selbststilisisierung

Diese Dinge werden auch bei Gasknappheit und anderen gesellschaftlichen Misständen durchgezogen: Sich in Posen werfen. Sie wollen gut aussehen. Wollen Spass haben. Hier ein Strähnchen, dort ein bisschen Lippenstift. Hier ein vielsagendes Lächeln, dort ein bedeutungsschwangerer Ausdruck im Gesicht. Möglichst makellos gestylt und mit Lächeln. Glatt passend. Ausstellen eines perfekten Selbst. Jeder in sich selbst verliebt. In das Bild, das er von sich hat. Weichzeichner. Alles ist schön. Selbstverwirklichung ist normal. Wahrnehmen, bewundert werden, gehasst werden. Schönheitschirurgie, Stoffe und Stimulanzien, die auf unser Gehirn einwirken und uns leistungsfähiger machen sollen. Neuroenhancer. Unbedingt der Durchschnittlichkeit entkommen. Etwas „Besonderes“ sein. Schönheit als der Weg zur Perfektion. Jung aussehen. Falten mit Botox wegspritzen, die Lippen und vieles andere aufspritzen, die weibliche Brust stylen und designen. Das Ideal einer jungen unverbrauchten Vagina herstellen: Reparieren zu einer Art unverbrauchten Barbie. Muskelkraft für Frauen, antrainieren, - aber schnell! Stark sein. Fit sein. Alles im Griff haben. Der Tracker wirft Zahlen aus. Liefert Motivation zur Verbesserung. Überhaupt: Durch Gesundheit leistungsfähiger werden. Das Gehirn optimal nutzen und unter anderem die Konzentrationsfähigkeit damit steigern. Das Liebesleben optimieren. Den Nachwuchs sichern, pränatale Diagnostik und Crispr. Ob daraus ein Zwang zum makellosen Kind werden kann? Danach Förderwahn und eingepflanzte Chips. Mehrere Instrumente spielen und etliche Fremdsprachen lernen. Auf Leistung, Konkurrenz und Wettbewerb dressiert. Im Drang nach Selbstverbesserung leben. Noch besser werden. Noch stärker. Noch schöner. Noch perfekter.

Freitag, 11. November 2022

5th Dimension

Der Krieg, der Tod, das Sterben. Ein Lächeln. Was wir wissen? Viel oder wenig? Ob wir darüber für immer im Ungewissen bleiben werden, wie Max Planck einst glaubte? „Die Wissenschaft kann die letzten Rätsel der Natur nicht lösen. Und das ist so, weil wir letztlich ein Teil des Rätsels sind“, sagte dieser Großphysiker. Möglicherweise werden wir dieses Rätsel, das wir uns selbst sind, nie lösen können. Ob wir's akzeptieren können? Und überhaupt: Ob es mehr Dimensionen als die uns bekannten Raum und Zeit gibt? Mit einiger Wahrscheinlichkeit. Schon die Hippies schwadronierten etwas von der Fünften Dimension. Es gab sogar die Popgruppe 5th Dimension. Ob aus dieser Wirklichkeit heraus die Welt eine völlig andere wäre? Und wir unvollkommene Wesen bekämen nur einen vielfach geprägten Ausschnitt der anderen Welt mit? Auch Platon spekulierte in seinem Höhlengleichnis dazu, das wir stets einen durch unsere Möglichkeiten herausgestanzten Ausschnitt einer Wirklichkeit erkennen können. Ob die Möglichkeiten unseres Hirns unser Bild von der Welt prägen? Ob es da noch andere Apparate gibt? Ob wir diese Möglichkeiten digital erweitern können, indem wir uns zu so etwas wie Cyborgs machen? Hm, ob das dann aber doch nur eine weitere Möglichkeit wäre, dem Ziel etwas näher zu kommen und keineswegs das Erreichen des Ziels bedeuten würde? Eine Art Offenbarung könnte es aber schon sein. Eine Offenbarung? Ob das etwas Religiöses hat? Das Bewusstsein davon, das unser Wissen trotz aller Gesetzmäßigkeiten etwas Relatives hat? Es wird wohl darum gehen, über diese Gesetzmäßigkeiten etwas zu wissen, so denken wir uns.

Donnerstag, 10. November 2022

Alter und Tod

Bestimmte Themen scheinen dieser Gesellschaft ganz besonders peinlich zu sein dergestalt, dass sie bei eventueller Ansprache ignoriert werden. Dazu gehören Alter (Alters- und Pflegeheime) und Tod (Friedhof). Nahezu alles hier scheint auf das Erwerbsleben und den Konsum abzuzielen, wobei in letzter Zeit immer klarer wird, dass selbst dies nicht mehr reibungslos funktioniert. Diverse internationale Rankings geben hier klare Auskunft. Deutschland scheint sich bei vielen wichtigen Themen (zb. Digitalisierung) auf nachgeordneten Rängen zu plazieren. Die politische Klasse versucht Rechtfertigungen a la „Wenn das nicht so (bei Merkel) gewesen wäre, könnten wir uns diesen Sozialstaat nicht mehr leisten“. Nun ja, so etwas gleicht einem Totschlagargument mit integrierter Erpressung. Ich denke, es würde schon helfen, wenn hierzulande die einseitige Konsumorientierung etwas reduziert würde, wenn selbst eine leichte Korrektur eines verschwenderischen Lebensstils zurück gefahren würde, - und zwar abseits der penetranten Wachstums-Beschwörungen der politischen Klasse!

Mittwoch, 9. November 2022

Fußballträume

Wie kommen viele Leute eigentlich dazu, noch immer an den Fußball zu glauben als einen „11-Freunde“-Fetisch? Die Fußballvereine (auch die sogenannten "Traditionsvereine") sind doch in Mitteleuropa anonyme Kapitalzusammenballungen, die ihr Personal beliebig tauschen und je nach finanzieller Stärke „auf dem Markt“ zusammenkaufen. Wo sogenannte Traditionsvereine (die natürlich auch versuchen, alles Finanzielle mitzunehmen....) dabei stehen, ist ja gegenwärtig in der deutschen Fußball-Bundesliga klar abzulesen. Ausnahmen wie etwa die in Freiburg mögen die Regel bestätigen. Der Fußball ist Teil des Showgeschäfts geworden, operiert mit Milliardenumsätzen und klagt dafür den steuermäßig unterfütterten Schutz der öffentlichen Hand (z.b. bei Polizeieinsätzen...) ein: das Muster ist bekannt aus der Finanzwelt. Natürlich wollen die Traditionsvereine ihren „Mythos“ pflegen und versuchen gegen die reinen Geldvereine mit Firmenaufdruck zu ätzen. Dabei versuchen sie selbst dasselbe und schaffen es oft halt nicht ganz. Die Werbung hat bei ihnen längst die Herrschaft übernommen: In den Vereinsnamen aufgenommen, auf Trikots abgebildet und in umbenannten Fußballarenen abgebildet. Gekauft. Es geht um Rechte. Logos. Besetzungen des Kopfes. Aggressive Verkaufsstrategien. Ich beobachte, wie sich die Leute für diesen industriell gefertigten Fußball interessieren, wie es ihre Unterhaltungen füllt, mit den Kumpels, mit den Nachbarn, mit den Arbeitskollegen. Ich stehe dabei, staune und wundere mich. Es interessiert mich auch, sehr wohl, - aber mit einigem Abstand, mit Skepsis und Ironie. Man könnte auch meinen, ich würde es nicht ganz so ernst nehmen, jedenfalls nicht so ernst wie jene, die ihre Identität damit verknüpft haben, die sich dafür gegenseitig auf die Nuss hauen oder sich veritable Schlachten mit der Polizei und dem billig engagierten "Ordnungspersonal" liefern. Es muss ihnen wichtig sein, sie identifizieren sich damit, es prägt ihre alltägliche Lebenswelt total. Ich habe einiges Verständnis dafür, sogar Sympathie, - nur: ich kann es nicht so recht ernst nehmen. Denn es ist Showbusiness, es spielt mit dem Schein, mit den Sehnsüchten und Wünschen eines Massenpublikums. Ob so etwas nötig ist oder nicht, ob es einem Ventil der Emotionen entspricht, - es sei dahin gestellt. Es kommt mir vor wie Theater, eine Simulation der Wirklichkeit, einer „Reality Show“. Eine Verdichtung gewisser Interessen, nicht das Eigentliche.

Dienstag, 8. November 2022

Gefühl und Spirit

Emotion und Spirituelles: Das Wort „Emotion“ kommt vom lateinischen emovere: nach außen bewegen. Es geht darum, nicht nur erreicht zu werden, sondern auch innerlich antworten zu können, jemand wiederum erreichen. Beispiel Musik machen: da wird man nicht nur erreicht, sondern man erfährt sich auch als wirksam, man hat einen Einfluss darauf, man gibt und erhält Impulse. Einfluss bezieht sich auf Abläufe, auf Prozesse. Etwas erreicht und berührt mich. Und ich erfahre mich als selbst wirksam damit verbunden. Ich kann antworten und dem entgegen gehen, auf es reagieren. Es ist nicht nur so, dass ich mir etwas einverleibe oder es in Reichweite bringe, sondern ich „transformiere“ mich dadurch. Es verändert einen, man wird ein anderer Mensch. Oder: es hat etwas mit mir gemacht. Rückblick im Sinne von: danach war ich jemand anderes. Etwas bewegt, berührt und erreicht mich, ich antworte und werde dadurch ein anderer. Es bleibt darin aber stets etwas Unwägbares. Das heißt, man kann versuchen, eine solche Beziehung mit allen Mitteln herzustellen. Es passiert aber nichts. Es könnte sogar sein, dass bei allergrößter Bemühung nichts passiert. Dabei entspricht sinnliche Überwältigung nicht dieser Art der Beziehung. Man mag beispielsweise in einem Konzert überwältigt sein durch die Soundfülle und das Licht. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, innerlich zu antworten und bewegt zu werden, ein anderer Mensch zu werden. Dieser Effekt kann nicht garantiert werden. Unter anderem mag es auch leibliche Hindernisse geben: Schmerz, Hunger. Psychische Voraussetzungen mögen dabei auch eine Rolle spielen: traumatisiert zu sein, oder tief verletzt. Dann verliere ich diese Fähigkeit, mich berühren zu lassen. Auch räumliche Bedingungen sind dabei wirksam: Sonnenschein und Wärme oder harter Regen mögen uns beeinflussen. Eine Betonhalle hat einen anderen Einfluss als die einer eine gewisse Wärme ausstrahlenden Umgebung. Je nachdem, wie man sitzt, wie man mit dem Anderen in Beziehung tritt, - oder auch nicht. Zeitdruck mag auch so manches umbiegen. Er „verdinglicht“ unter Umständen so manche Beziehung. Stress, Angst, Druck führt dann oft zu einer Art „Wettbewerb“. Es gilt dann Höher, besser, schneller, weiter. Das ist das Gegenteil zu „hören und antworten“. Wir haben einen Sinn dafür, was unsere Existenz begründet, was ihr Grund sein könnte, wie wir auf die letzte Wirklichkeit bezogen sind. Man kann diese letzte Wirklichkeit auch Universum nennen. Oder das Leben. Oder die Wirklichkeit. Oder die Welt, oder die Natur. Das Ganze? Aber man fühlt sich jedenfalls da hinein gestellt, ahnt, dass man ein Teil davon ist. Die Frage ist: wie sind wir darauf bezogen? Bezogen auf diese letzte Grundlegung. Ja, wir haben einen Sinn dafür. Er geht darauf zurück, dass am Grund unserer Existenz eine kollektive Antwort liegt. Vielleicht. Etwas, das für uns alle gilt, solange wir mit den selben Gattungsmerkmalen ausgestattet sind. Jemand ist da, der uns hört und sieht, versprechen etwa die Religionen. In uns und jenseits von uns. Beim Beten wird das deutlich: Man kann dabei nicht sagen, ob der Betende sich nach innen oder nach außen richtet. Beten ist eine ritualisierte Praxis, die eine Verbindung zwischen dem Innersten und dem Äußersten schafft. Es berührt mich und verflüssigt mich in meiner Verhärtung, es macht mich empfänglich. Religion beispielsweise schafft ein Bewusstsein dafür, dass wir mit dem Leben als Ganzes, mit Gott oder der Natur in einer Beziehung stehen. Mit der Kunst. Mit der Musik. Wichtig dabei ist: Man weiß nicht recht, ob man nach innen oder nach außen hört. Das alles bedeutet aber nicht Welterklärung. Nicht Weltdeutung. Es geht nicht um sinnhafte und kognitive Weltdeutung. Also nicht um das Erkennen vom Verstand her.

Montag, 7. November 2022

Kreuzfahrer

Klingelt’s noch? „Einmal um die ganze Wält und die Daschen voller Gäld“ sang einst ein Schlagerstar und grub sich alleine schon mit der Melodie in das Bewusstsein der Massen ein. Wirkungsvoller war jedoch noch die Formulierung eines alten Traums, der mit dem Traum des Taugenichts (siehe eigener Blog "Taugenichts auf Reisen") sowie dem Mythos des reichen Touristen und forschen Weltumrunders spielte. Auch etwas vom vergangenen Kolonialismus, vom neugierigen Forscher und frohgemuten Poeten schwang da mit. Der Aufbruch in die Ferne hat seitdem nichts von seiner Anziehungskraft verloren, nur soll es heute gleich ein komplettes Auswandern in ein Traumland sein, dessen Sprache die meisten Fernsüchtigen noch nicht mal sprechen. Dabei würden nicht nur Reiseführer und schriftliche Dokumente aller Art, sondern auch das Fernsehen, Youtube und Videoblogs jeder Schattierung genug Gelegenheit bieten, sich schon mal vorab etwas zu informieren. Doch nein, gerade das völlig Unbekannte und scheinbar Unvorbelastete ist es ja, das einen hierzulande offenbar reizen kann. Und so kommen viele Wagemutige an Brasiliens Küsten, an Afrikas Wüsten und Wäldern, an Australiens Einöden gewaltig an ihre Grenzen, erleiden von ihnen selbst unerwartete Geldnöte oder lassen sich von fremden Tieren beißen oder stechen. Selbsterfahrung, gewiss, und: man kann es ja mal versuchen. Am Ende seines Lebens kann man sich das ja dann tapfer sagen. Man hat Fehler gemacht, das ja, aber man hat es wenigstens versucht.Dabei reicht auch eine sogenannte Weltreise heute nicht mehr, per Flugzeug ist jeder scheinbar entfernte Winkel der Erde erreichbar. Das Unbekannte gibt es ja in der globalen Welt nicht mehr, die Armut haust in Wellblechhütten, die auf einem mit einer schwäbischen Säge freigemachten Platz errichtet sind. Machu Picchu, Yucatan, Nordpol, Südpol und Spitzbergen: alles kein Problem für Kreuzfahrt-Globetrotter. Jeder Ort ist erreichbar und für die Neugier derer erschlossen, die sich das Reisen leisten können. Mitunter scheint ein Ort in Deutschland schwieriger und unter größerem Zeitaufwand erreichbar als es Mallorcas mehrmals pro Tag direkt angeflogene Ballermänner sind. Die Welt ist klein geworden, Information ist universell verfügbar – und dennoch scheint noch ein Rest des Unbekannten zu locken: in den Urwald, in das Unbekannte, das von Menschen freilich eigene angepasste Lebensformen einfordert, denen sich solche Selbsterfahrer oft nicht gewachsen zeigen – und schon gar nicht auf längere Frist.

Sonntag, 6. November 2022

Mythos, Fetisch Wachstum

Fetisch Wachstum: weil alles in 5500 Jahren Menschheitsgeschichte gewachsen ist, wird es auch weiterhin wachsen: So die Überzeugung, die viele Menschen gerne teilen wollen. Was zu beobachten ist: Es herrscht eine dauernde Aufforderung zum Konsum. Durch Verschuldung wird zudem Wachstum geschaffen. Politiker beschwören es in tausend Formen, im Chor und alleine, sie reden es sehnlichst herbei, Wirtschaftskapitäne sowieso. Wirtschaftswissenschaftler haben das ohnehin zur Voraussetzung ihrer Lehre gemacht und halten eisern daran fest: dass es auf einer Erde mit endlichen Ressourcen unendliches Wachstum geben könne. Aber kann eine Wirtschaft eigentlich unendlich wachsen auf einer Erde, deren Ressourcen endlich sind? Ob das nahe am Wahnsinn ist? Verrückt? Schafft Kreativität und Erfindungsreichtum unendliches Wachstum? "Innovation" nennen das gewisse Kreise. Reichtum, wenn er auf der Erde nicht steigerbar ist, wird er dann aus dem All kommen? Oder werden wir, also die vermögende Klasse der Menschen, ins All hinaus fahren, um dort irgendwo irgendwie eine neue Gesellschaft zu gründen. Die Erde mit ihren begrenzten Ressourcen wird dann sowieso verloren und ausgesaugt sein, die Idee von unendlichem Wachstum könnte dann längst aufgegeben und ausgeträumt sein. Und heute? Es scheint so, dass vieles vorbereitet wird und dass es vielen Menschen in der „entwickelten Welt“ schlechter geht als zuvor. Der Populismus feiert Triumphe. Alles zerfällt in der Polarisierung der Menschheit. Da könne nur noch mehr Wachstum helfen, dröhnt es geradezu in dem Chor von Politikern. Doch der Traum ist vorbei. Die einzigen Idioten, die eine solche Weltdeutung zur Grundlage ihrer Wissenschaft machten, sind die Betriebswirtschaftler, - die auf dieser Welt auch noch den Ton anzugeben scheinen. Der Mythos lebt.

Samstag, 5. November 2022

Wie fremd man sich bleibt (Lyrik ub)

WIE FREMD MAN SICH BLEIBT Wieder: einer der Versuche, ein Stück sich näherzukommen, Tasten nach Konturen wieder: plötzlich zurückgeschreckt, merk' dass ich natürlich nicht weiß, wer du bist wo du bist, denn du bist außer mir du schenkst mir Worte, die ich dreh' und wende, zärtlich, und such' dein Gesicht dahinter so viele Masken, schon gefallen im Dunkel verschwindend, ich bleib' zurück allein und such' nach jemanden, den du mir vorenthälst Wer? redet von uns und von dieser Welt die so verschieden ist, von Person zu Person Wer? versucht mit Worten zu greifen, was zwischen Kopf und Leib uns umspült Entfernung frei wählend, das richtige Maß heute morgen, nur für Sekunden, sah dich neben mir...und fünf Minuten später lachte ich mich aus, ein Nichtserzähler, der unpäßlich für dieses Land sich ständig neu erfindet neben dir, außer mir und mir neben dir so viele sehn' zu und spielen Neugier wer verwechselt mich mit dem Schatten neben mir du siehst in mir das Andre nicht wie die Andern und mit der Zeit bleibt uns noch aufgetragen das Netz aus Stein zu lösen, das uns hält.

Donnerstag, 3. November 2022

Valerie (51)

Er bewunderte ihren unbeholfenen Mut, auf diese Art und Weise eine Verbindung zur Realität – und fragte: „Schläfst du mit jedem, den du kennen lernst? Nein, das heute war anders, ich mochte dich eigentlich sofort. Und überhaupt…. Was ist denn dabei?“ Er fragte sich, was denn heute anders gewesen sein konnte: War er anders drauf als andere oder war sie in einer anderen Stimmung als sonst? Klar, man konnte ihn dazu machen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach würde sich eines Tages heraus stellen, dass dies ein stinknormaler Tag gewesen sein werde wie alle anderen Tage auch. „Möchtest du etwas trinken?“, „Nein danke“. Es war dunkel geworden und fast gleichzeitig hatte der Regen wieder eingesetzt. Sie lagen immer noch nebeneinander auf diesem künstlichen Grün. „Ist das eigentlich das Schlafzimmer hier?“ „Das ist das Gästezimmer. Im Haus sind noch zwei andere. Ich schlafe jeden Tag in einem anderen“ Das Zimmer war sicher von irgendeinem Innenarchitekten eingerichtet worden, formal teuer, farblich genau abgestimmt – aber völlig ohne Atmosphäre. Alles stand am richtigen Platz und wurde dadurch anonym, eine Art Abziehbild eines gehobenen Versandhauses.

Mittwoch, 2. November 2022

Verlorene Begriffs- und Lebenswelten: Heimat

„Hey, wie geht’s?“ Wenn man jemand persönlich kennen lernt, ist es ungleich schwieriger, mit ihm kritisch oder gar ablehnend umzugehen. Persönliche Bande schaffen so etwas wie Beishemmung. Man ist sich nahe und muss mehr Energie aufbringen, um einen solchen Menschen abzulehnen. Gerade in einem journalistischen Alltag schien mir das umso bedeutender, je weniger dies von Kollegen beachtet wurde. Doch im Falle des zunächst Fremden und Ausgegrenzten kann es auch helfen, allmählich Barrieren abzubauen. Wer jemanden aus einem anderen Kulturkreis kennen lernt, nimmt bewusst viele Anregungen auf, verliert eine Distanz, lernt das Gegenüber möglicherweise als Menschen mit all seinen Unzulänglichkeiten und Liebenswürdigkeiten und – ja auch! Hässlichkeiten! - kennen. Viele Menschen sagen aber auch, dass sie so genau gar nicht wissen, woher sie kommen, da ihre Herkunft gar nicht auf einen ganz bestimmten Ort, eine ganz bestimmte Familie oder Kultur zuführt. Es scheint immer mehr „globale“ Existenzen zu geben. Ob aber nicht gerade bei ihnen das Bedürfnis nach so etwas wie „Heimat“ gewachsen ist, ob sie ihren eigenen Weg und Begriff dazu finden müssen? Ob dies eine gewisse Anstrengung bedeuten kann, bei der unsere Hilfe etwas Positives beitragen kann? Was bin ich? Wer bin ich? Sind wir in der Lage, eine gute Antwort auf diese Fragen zu geben?

Dienstag, 1. November 2022

Kanäle bohren

Ich lebte in einer Welt, in der ich nach einem Regen draußen auf dem Hof mit kleinen Stöckchen oder ganz direkt mit den Fingern stundenlang lauter kleine Kanäle bauen konnte, deren Rand ich jeweils sehr kunstvoll erhöhte und die ich nach einem geheimen, nur mir bekannten Plan, beständig veränderte. Diese Kanäle standen zueinander in einer Ordnung, die ich, nur ich bestimmte. Ich? Immer nur ich. Wer war ich? Diese Frage war nur dann quälend, wenn ich auf meinem Mauervorsprung saß, ganz am Rande des Gartens und wieder einmal grundlos und ganz alleine in mich hineinbrütete. Wenn mir bewusst wurde, wie alleine ich war und wenn ich ahnte, wie alleine ich immer sein würde. Das schöne Selbstmitleid. Es war zum Heulen und eine ungute Brutstätte des Autismus. Anfang davon, dass ich glaubte, mir ginge die Zeit aus. Aber ich hatte damals ja Zeit. Das alles war kein wirkliches Problem. Die Lösung dieser Fragen sollte irgendwann noch zu finden sein. Der Horizont war offen. Stundenlang und sprachlos, nur für mich, drückte ich draußen auf dem Hof komplette Kanalsysteme in den Boden, schuf im Dreck ein System der verspielten Umleitungen. Es gab sehr sinnvoll angelegte Rückhalte- und Überlaufbecken. Man konnte zusehen, wie sich der Dreck, den man kurz zuvor bearbeitet hatte, langsam setzte, um sich schließlich in ein Becken mit klarem Wasser zu verwandeln. Es gab auch Inseln inmitten dieser klarer Seen, die man gerne zu Trutzburgen hätte ausbauen wollen. Sie verwandelten sich flugs in verwunschene, dreckfarbene Wasserschlösser und trugen ihren Sinn minutenlang in sich.