Ein Durchgang durch Realitäten aus meiner Sicht - Blog von Ulrich Bauer (Ergänzt ubpage.de)
Mittwoch, 8. März 2017
Schopenhauer sagt
Arthur Schopenhauer sagt: "So weilt Alles nur einen
Augenblick und eilt dem Tode zu. Die Pflanze und das Insekt sterben
am Ende des Sommers, das Thier, der Mensch, nach wenig Jahren: der
Tod mäht unermüdlich. Desungeachtet aber, ja, als ob dem ganz und
gar nicht so wäre, ist jederzeit Alles da und an Ort und Stelle,
eben als wenn Alles unvergänglich wäre. Jederzeit grünt und blüht
die Pflanze, schwirrt das Insekt, steht Thier und Mensch in
unverwüstlicher Jugend da, und die schon tausend Mal genossenen
Kirschen haben wir jeden Sommer wieder vor uns. Auch die Völker
stehen da, als unsterbliche Individuen; wenn sie gleich bisweilen die
Namen wechseln; sogar ist ihr Thun, Treiben und Leiden allezeit das
selbe; wenn gleich die Geschichte stets etwas Anderes zu erzählen
vorgibt: denn diese ist wie das Kaleidoskop, welches bei jeder
Wendung eine neue Konfiguration zeigt, während wir eigentlich immer
das Selbe vor Augen haben. Was also dringt sich unwiderstehlicher
auf, als der Gedanke, daß jenes Entstehen und Vergehen nicht das
eigentliche Wesen der Dinge treffe, sondern dieses davon unberührt
bleibe, also unvergänglich sei, daher denn Alles und Jedes, was
daseyn will, wirklich fortwährend und ohne Ende da ist. Demgemäß
sind in jedem gegebenen Zeitpunkt alle Thiergeschlechter, von der
Mücke bis zum Elephanten, vollzählig beisammen. Sie haben sich
bereits viel Tausend Mal erneuert und sind dabei die selben
geblieben. Sie wissen nicht von Andern ihres Gleichen, die vor ihnen
gelebt, oder nach ihnen leben werden: die Gattung ist es, die
allezeit lebt, und, im Bewußtseyn der Unvergänglichkeit derselben
und ihrer Identität mit ihr, sind die Individuen da und wohlgemuth.
Der Wille zum Leben erscheint sich in endloser Gegenwart; weil diese
die Form des Lebens der Gattung ist, welche daher nicht altert,
sondern immer jung bleibt. Der Tod ist für sie, was der Schlaf für
das Individuum, oder was für das Auge das Winken ist, an dessen
Abwesenheit die Indischen Götter erkannt werden, wenn sie in
Menschengestalt erscheinen. Wie durch den Eintritt der Nacht die Welt
verschwindet, dabei jedoch keinen Augenblick zu seyn aufhört; eben
so scheinbar vergeht Mensch und Thier durch den Tod, und eben so
ungestört besteht dabei ihr wahres Wesen fort. Nun denke man sich
jenen Wechsel von Tod und Geburt in unendlich schnellen Vibrationen,
und man hat die beharrliche Objektivation des Willens, die bleibenden
Ideen der Wesen vor sich, fest stehend, wie der Regenbogen auf dem
Wasserfall. Dies ist die zeitliche Unsterblichkeit. In Folge
derselben ist, trotz Jahrtausenden des Todes und der Verwesung, noch
nichts verloren gegangen, kein Atom der Materie, noch weniger etwas
von dem innern Wesen, welches als die Natur sich darstellt. Demnach
können wir jeden Augenblick wohlgemuth ausrufen: „Trotz Zeit, Tod
und Verwesung, sind wir noch Alle beisammen!“
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