Aus
meiner Lektüre von Arthur Schopenhauers „Die Welt als Wille und
Vorstellung“ habe ich das Folgende herauskopiert:
„Der
Tod ist die große Zurechtweisung, welche der Wille zum Leben, und
näher der diesem wesentliche Egoismus, durch den Lauf der Natur
erhält; und er kann aufgefaßt werden als eine Strafe für unser
Daseyn. Er ist die schmerzliche Lösung des Knotens, den die Zeugung
mit Wollust geschürzt hatte, und die von außen eindringende,
gewaltsame Zerstörung des Grundirrthums unsers Wesens: die große
Enttäuschung. Wir sind im Grunde etwas, das nicht seyn sollte: darum
hören wir auf zu seyn. – Der Egoismus besteht eigentlich darin,
daß der Mensch alle Realität auf seine eigene Person beschränkt,
indem er in dieser allein zu existiren wähnt, nicht in den andern.
Der Tod belehrt ihn eines Bessern, indem er diese Person aufhebt, so
daß das Wesen des Menschen, welches sein Wille ist, fortan nur
in andern Individuen leben wird, sein Intellekt aber, als
welcher selbst nur der Erscheinung, d.i. der Welt als Vorstellung,
angehörte und bloß die Form der Außenwelt war, eben auch im
Vorstellungseyn, d.h. im objektiven Seyn
der Dinge als solchem,
also ebenfalls nur im Daseyn der bisherigen Außenwelt, fortbesteht.
Sein
ganzes Ich lebt also von jetzt an nur in Dem, was er bisher als
Nicht-Ich angesehn hatte: denn der Unterschied zwischen Aeußerem und
Innerem hört auf. Wir
erinnern uns hier, daß der bessere Mensch der ist, welcher zwischen
sich und den Andern den wenigsten Unterschied macht, sie nicht als
absolut Nicht-Ich betrachtet, während dem Schlechten dieser
Unterschied groß, ja absolut ist;
– wie ich dies in der Preisschrift über das Fundament der Moral
ausgeführt habe. Diesem Unterschiede gemäß fällt, dem Obigen
zufolge, der Grad aus, in welchem der Tod als die Vernichtung des
Menschen angesehn werden kann. – Gehn wir aber davon aus, daß der
Unterschied von Außer mir und In mir, als
ein räumlicher, nur in der Erscheinung, nicht im Dinge an sich
gegründet, also kein absolut realer ist; so werden wir in dem
Verlieren der eigenen Individualität nur den Verlust einer
Erscheinung sehn, also nur scheinbaren Verlust.
So viel Realität jener Unterschied auch im empirischen Bewußtseyn
hat; so sind doch, vom metaphysischen Standpunkt aus, die Sätze:
»Ich gehe unter, aber die Welt dauert fort«, und »Die Welt geht
unter, aber ich dauere fort«, im Grunde nicht eigentlich
verschieden.
Ueber
dies Alles
nun aber ist der Tod die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu seyn:
wohl Dem, der sie benutzt. Während des Lebens ist der Wille des
Menschen ohne Freiheit: auf der Basis seines unveränderlichen
Charakters geht sein Handeln, an der Kette der Motive, mit
Nothwendigkeit vor sich. Nun trägt aber Jeder in seiner Erinnerung
gar Vieles, das er gethan, und worüber er nicht mit sich selbst
zufrieden ist. Lebte er nun immerfort; so würde er, vermöge der
Unveränderlichkeit des Charakters, auch immerfort auf die selbe
Weise handeln. Demnach
muß er aufhören zu seyn was er ist, um aus dem Keim seines Wesens
als ein neues und anderes hervorgehn zu können, Daher löst der Tod
jene Bande: der Wille wird wieder frei:
denn im Esse,
nicht im Operari liegt
die Freiheit: Finditur
nodus cordis, dissolvuntur omnes dubitationes, ejusque opera
evanescunt,
ist ein sehr berühmter Ausspruch des Veda, den alle Vedantiker
häufig wiederholen. Das
Sterben ist der Augenblick jener Befreiung von der Einseitigkeit
einer Individualität, welche nicht den innersten Kern unsers Wesens
ausmacht, vielmehr als eine Art Verirrung desselben zu denken ist:
die wahre, ursprüngliche Freiheit tritt wieder ein, in diesem
Augenblick, welcher, im angegebenen Sinn, als eine restitutio
in integrum betrachtet
werden kann. Der
Friede und die Beruhigung auf dem Gesichte der meisten Todten scheint
daher zu stammen. Ruhig und sanft ist, in der Regel, der Tod jedes
guten Menschen: aber willig sterben, gern sterben, freudig sterben,
ist das Vorrecht des Resignirten, Dessen, der den Willen zum Leben
aufgiebt und verneint. Denn nur er will wirklich und
nicht bloß scheinbar sterben,
folglich braucht und verlangt er keine Fortdauer seiner Person. Das
Daseyn, welches wir kennen, giebt er willig auf: was ihm statt dessen
wird, ist in unsern Augen nichts;
weil unser Daseyn, auf jenes bezogen, nichts ist.
Der Buddhaistische Glaube nennt jenes Nirwana,
d.h. Erloschen.“
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