Reise durch Wirklichkeiten

Mittwoch, 15. März 2017

Wille und Vorstellung (Schopi)

So grundsätzlich über etwas nachdenken? Eine "Ansicht" entwickeln, eine Sicht auf etwas? Etwas, das wir selbst sein könnten, was unsere Identität berührt? Arthur Schopenhauer schreibt in seinem Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (jawohl es gibt hier keine Schreibfehler, sondern auch die schriftliche Sprache hat sich verändert) das Folgende. Anyway, hier sei jedenfalls ein Brocken davon hingeworfen:


„Der Wille, welcher unser Wesen an sich ausmacht, ist einfacher Natur: er will bloß und erkennt nicht. Das Subjekt des Erkennens hingegen ist eine sekundäre, aus der Objektivation des Willens hervorgehende Erscheinung: es ist der Einheitspunkt der Sensibilität des Nervensystems, gleichsam der Fokus, in welchem die Strahlen der Thätigkeit aller Theile des Gehirns zusammenlaufen. Mit diesem muß es daher untergehn. Im Selbstbewußtseyn steht es, als das allein Erkennende, dem Willen als sein Zuschauer gegenüber und erkennt, obgleich aus ihm entsprossen, ihn doch als ein von sich Verschiedenes, ein Fremdes, deshalb auch nur empirisch, in der Zeit, stückweise, in seinen successiven Erregungen und Akten, erfährt auch seine Entschließungen erst a posteriori und oft sehr mittelbar. Hieraus erklärt sich, daß unser eigenes Wesen uns, d.h. eben unserm Intellekt, ein Räthsel ist, und daß das Individuum sich als neu entstanden und vergänglich erblickt; obschon sein Wesen an sich ein zeitloses, also ewiges ist. 

Wie nun der Wille nicht erkennt, so ist umgekehrt der Intellekt, oder das Subjekt der Erkenntniß, einzig und allein erkennend, ohne irgend zu wollen. Dies ist selbst physisch daran nachweisbar, daß, wie schon im zweiten Buch erwähnt, nach Bichat, die verschiedenen Affekte alle Theile des Organismus unmittelbar erschüttern und ihre Funktionen stören, mit Ausnahme des Gehirns, als welches höchstens mittelbar, d.h. in Folge eben jener Störungen, davon afficirt werden kann. Daraus aber folgt, daß das Subjekt des Erkennens, für sich und als solches, an nichts Antheil oder Interesse nehmen kann, sondern ihm das Seyn oder Nichtseyn jedes Dinges, ja sogar seiner selbst, gleichgültig ist. Warum nun sollte dieses antheilslose Wesen unsterblich seyn? Es endet mit der zeitlichen Erscheinung des Willens, d.i. dem Individuo, wie es mit diesem entstanden war. Es ist die Laterne, welche ausgelöscht wird, nachdem sie ihren Dienst geleistet hat. Der Intellekt, wie die in ihm allein vorhandene anschauliche Welt, ist bloße Erscheinung; aber die Endlichkeit Beider ficht nicht Das an, davon sie die Erscheinung sind. Der Intellekt ist Funktion des cerebralen Nervensystems; aber dieses, wie der übrige Leib, ist die Objektität des Willens. Daher beruht der Intellekt auf dem somatischen Leben des Organismus: dieser selbst aber beruht auf dem Willen. Der organische Leib kann also, in gewissem Sinne, angesehn werden als Mittelglied zwischen dem Willen und dem Intellekt; wiewohl er eigentlich nur der in der Anschauung des Intellekts sich räumlich darstellende Wille selbst ist. Tod und Geburt sind die stete Auffrischung des Bewußtseyns des an sich end- und anfangslosen Willens, der allein gleichsam die Substanz des Daseyns ist (jede solche Auffrischung aber bringt eine neue Möglichkeit der Verneinung des Willens zum Leben). Das Bewußtseyn ist das Leben des Subjekts des Erkennens, oder des Gehirns, und der Tod dessen Ende. Daher ist das Bewußtseyn endlich, stets neu, jedesmal von vorne anfangend. Der Wille allein beharrt; aber auch ihm allein ist am Beharren gelegen: denn er ist der Wille zum Leben. Dem erkennenden Subjekt für sich ist an nichts gelegen. Im Ich sind jedoch Beide verbunden. – In jedem animalischen Wesen hat der Wille einen Intellekt errungen, welcher das Licht ist, bei dem er hier seine Zwecke verfolgt. – Beiläufig gesagt, mag die Todesfurcht zum Theil auch darauf beruhen, daß der individuelle Wille so ungern sich von seinem, durch den Naturlauf ihm zugefallenen Intellekt trennt, von seinem Führer und Wächter, ohne den er sich hülflos und blind weiß.“

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