Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 26. Juni 2022

Valerie (48)

Während sie schweigend nebeneinander lagen, fiel ihm der alte Dylan-Song ein über den Star, der es geschafft hat, der Erfolg hat und plötzlich merkt, dass er getäuscht worden ist, als es nicht mehr so richtig läuft: „Like a rolling stone“. War sie Miss Lonely, die die besten Schulen besucht hat und doch vom Leben keine Ahnung hat? Eine, die nie einen Kompromiss mit diesem namenlos geheimnisvollen Tramp schließen würde, die ihm keine Alibis zu verkaufen hat? War er gerade dabei, ihr ein Alibi zu verschaffen? Würde sie auch die Nase rümpfen über diesen Napoleon in Lumpen und die Sprache, die er spricht? Hatte sie auch einen Diplomaten, der sie in seiner verchromten Luxuskarosse spazieren ritt und auf seiner Schulter eine seltene Katzenrasse hat? Sie war sicher noch auf dem Weg zur Spitze, nicht heruntergekommen wie Miss Lonely, die ihren Diamantring ins Pfandleihhaus bringt und aufs Schnorren angewiesen ist. Ein kleiner Unfall und Valerie könnte die Figur aus Dylans Song sein! Dann wäre sie öffentlichem Mitleid ausgesetzt und eine Zeitlang vielleicht unsichtbar, egal, welche Geheimnisse sie noch zu verbergen hätte. Die Melodie des Refrains ging ihm durch den Kopf „How does it feel, how does it feel, to be on your own, like a complete unknown, like a rolling stone?“ Aber vielleicht war ja Dylan selbst zu der Figur mit der Katze auf der Schulter geworden? Die Diplomaten und Heiligen waren auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Heute singen sie Kirchenlieder und geben sich zufrieden, was wohl nichts war, das zu bemängeln und zu bekritteln wäre. Dass Dylan selbst ein Heiliger sein wollte, ließ er sich ohnehin nie verkaufen.

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