Reise durch Wirklichkeiten

Mittwoch, 5. Dezember 2018

Stadt - Land

In Frankreich sind die „Gelbwesten“ jetzt auch in Paris unterwegs, nachdem sie ursprünglich von der sogenannten Provinz ausgegangen waren und sich Steuererhöhungen nicht mehr gefallen lassen wollten. Es wird nun so bei uns so verkauft, als seien sie besonders mit ökologischen Steuererhöhungen oder Klimasteuern nicht einverstanden und würden nun stänkern und stinkern. Doch es scheint wohl eher so, dass sie mit der gesamten Steuerbelastung nicht einverstanden sind und die ökologischen Steuern nur ein letztes Glied in einer Kette von Umverteilungsmaßnahmen von unten nach oben sind. Wer dagegen auf die Straße geht, hat meine Sympathie. Sicher, Paris ist die Metropole, von der in einem zentralistisch geordneten Staat alle abhängig sind. Doch wie sieht es in unserer ach so föderalistisch organisierten Wirklichkeit aus? Die Verkehrsstruktur ist inzwischen auf dem Lande eine völlig andere als die in der Stadt. So sympathisch einem das Fahrrad vorkommen mag: auf dem Land ist es nicht das Verkehrsmittel der Wahl, insbesondere dann nicht, wenn es regnet wie zum Beispiel jetzt. Es ist doch so: Ganze Gegenden und Regionen werden abgehängt, Krankenhäuser, Banken, Gerichte, Arztstandorte werden geschlossen, Verwaltungseinheiten „rationalisiert“ und neu organisiert zugunsten „großer Einheiten“. Es scheint dass dabei der Staat die heftigsten Rationalisierungskampagnen durchsetzt. . Wirtschaft macht Profit, wie vom System vorgesehen und politisch gewollt. Behörden geben sich arrogant, fahren Doktortitel und Professoren auf, sie verfügen, beschließen, setzen durch, entscheiden einsame Beschlüsse, schieben Sachzwänge vor, sehen die Verantwortung bei anderen, verschanzen sich hinter juristischen Phrasen, die niemand versteht. Die Infrastruktur gewisser (vor allem ländlicher) Gebiete verfällt aber während dieser Zeit regelrecht,....
Ministerpräsidenten und politische Entscheidungsträger fahren mit riesigem Gefolge, mit Referenten, Sprecher, Polizei und Sicherheitsleuten von ihren urbanen Burgen in den Hauptstädten aus in Kolonnen riesiger Limousinen vor und vorbei und an allem und jedem vorüber, sie machen Termine zu Gesprächen aus, sie versprechen finanzielle Leistungen, Versprechungen, die sie sodann nicht einzuhalten pflegen. Sie blocken ab, beschwichtigen, wiegeln ab, nutzen die Lage (aus), versuchen, Stimmen zu gewinnen, Bürgerinitiativen zu beschwichtigen, demonstrieren Bürgernähe und „Stallgeruch“, sind bei „Events“ dabei, lassen sich Unterschriftenlisten unterbreiten oder vorlegen, sie schütteln Hände, lassen sich erklären, hören zu, „fischen ab“. Fahren wieder ab in Richtung ihrer Festungen, die sie in ihrer Mächtigenblase vor allem Berlin und der nächsthöheren Hierarchiestufe zu erklären haben… aber kaum Bürgern, schon gar nicht denjenigen auf dem Lande. Örtliche Vertreter der Parteien führen Gespräche, machen sich gemein, geben sich demokratisch und volksnah und - können dann offenbar doch nichts tun. Die Durchlässigkeit von Informationen von unten nach oben ist halt nicht ganz gewährleistet. Die Strukturen der scheinbaren „Alternativlosigkeit“ und der Sachzwänge sind scheinbar stärker. Ob sie ausreichen, riesige Funklöcher rechtzufertigen?
Es herrscht Ignoranz und Arroganz der Macht, auch wenn sie scheinbar nur auf Zeit verliehen ist, waltet und breitet sich aus, sie tötet ab, produziert Wut und Resignation.Abstände zwischen Lebenswelten werden größer. Anliegen werden zeredet in Gesprächen mit Nach- und Untergeordneten, mit lakaienhaft funktionierenden Untergeben des Apparats, der in sich aufgesaugt hat, sie verpuffen, prallen an staatlich wohlbestallter und pensionsgestützter Ignoranz ab. Die Verbindung der Kommunalvertreter oder Kommunalpolitiker „nach oben“ scheint nicht sehr von Einfluss geprägt zu sein. Vertreter von Bürgerinitiativen und Begehren der „Zivilgesellschaft“ sind hilflos. Mitglieder einer rechtsgerichteten Protestpartei nutzen die Lage der Unzufriedenheit aus, geben sich volksnah, nutzen die Lage mit allerlei populistischen Methoden, sind dabei, sind anwesend, wenn sich etwas regt und tut. Sie saugen ein Potential der Unzufriedenheit auf, sie absorbieren Stimmungen und nutzen sie aus. Sie setzen sich scheinbar für lokale und regionale Belange ein, sie sind bei Protestversammlungen gegen Schließungen und Verödungen der Infrastruktur dabei, sie sind dabei beim „Begehren“, sie scheinen sich für direkte Demokratie einzusetzen und werben für ihre Partei, in der sich Großstädter, Politiker und Regierungsbeamte flott und unverschämt bereichern. Diese Gruppe formuliert gerne in Reden mit steilen Thesen, wie sie die Lage einschätzen. Sie wiegeln auf und zentrieren den Protest, sie geben ihm Ausdruck, sie geben sich lebensnah heimatverbunden und gießen daraus volkstümliche Reden. So werden langsam Prozentzahlen, Einfluss und Macht daraus.

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