Reise durch Wirklichkeiten

Freitag, 31. Mai 2019

Grundgesetz und Selbstverwaltung

Etwas zum jüngst mit allerlei Sonntagsreden absolvierten Grundgesetzjubiläum: Es besteht der Verdacht, die Pflege schütze die Würde des Menschen nicht ausreichend. Der Vorwurf: der Staat vernachlässige seine Schutzpflicht gegenüber Millionen pflebedürftiger Menschen. Es gibt mittlerweile sehr viele Dokumentationen und Beispiele dafür, dass dies nicht unbedingt als „Einzelfall“ abgetan werden kann. Akzeptierterweise sind das wohl die derzeit am meisten stattfindenden Rechtsverstöße in Deutschland. Die Politik behauptet in dessen unverdrossen, dass das deutsche Pflegemodell "in diesem schönen Land" ein Erfolg sei. Jaja, klar, im Verhältnis zu gewissen anderen Ländern! An anderer Stelle hätten wir gerne, dass Deutschland ganz besonders toll sei! Etwa 2,8 Mio Menschen sind in Deutschland derzeit pflegebedürftig. Tendenz: steigend. Es könnte sein, dass der Staat nicht genügend Rahmenbedingungen setzt, um Misstände in Heimen zu verhindern. Dabei ist das Spektrum sehr weit: Es gibt Heime, in denen die zu Pflegenden sehr gut versorgt werden, aber aber auch Heime in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Im schlechtesten Fall bekommen die Heimbewohner keine Zuwendung, keine Pflege, keine Sicherheit und keinen Schutz. Da werden Bewohnernotrufe weggedrückt, da werden Klingeln abgestellt oder in nicht erreichbarer Nähe angebracht, weil einfach keine Zeit mehr dafür da ist. Im schlimmsten Fall bekommen sie nicht einmal ausreichend zu essen und zu trinken.
Übliche Erklärung: Das Geld reicht nicht. Es wird zu wenig Personal eingestellt, das dann unter enormem Zeitdruck steht und Pflegeaufgaben nicht so nachkommen kann, wie es das selbst gerne würde. Dies Personal verschanzt sich hinter „Dienst nach Vorschrift“ und lässt auf diese Weise einfache Menschlichkeit oft vermissen. Beispiel: Schmerzen. Es wird ein Arzt benötigt, der aber am Wochenende nicht verfügbar ist. oder einfach nicht kommt..... Der Patient könnte in dieser Zeit verrecken: macht ja nichts, Nachschub kommt allemal. Die Finanzierung erfolgt nach Bewohner, ja nach Pflegegrad und innerhalb der immergleichen gesetzlichen Regeln. Auf diese Weise sind in den letzten Jahren rund  5000 Heime neu entstanden. Durch die Pflegeversicherung ist ein neuer, gigantischer Markt entstanden. Der Staat lässt die Akteure dieses Marktes weitgehnd frei schalten und walten. Wenn es um Personalbestand, Kontrollen und Outsourcing geht. Es könnte ja auch darum gehen, das wohl der Bewohner im Auge zu haben und nicht das der Betreiber. Verbürgte Grundbedürfnisse und Qualitätsstandards gehen. Pflegeselbstverwaltung heißt dabei das Zauberwort. Das heißt, dass die Politik sämtliche Entscheidungen auf diesem Gebiet an diese Selbstverwaltung delegiert, die ihre Sitzungen meist unter Ausschluss der Öffentlichket abhält und sich auch darüber hinaus ziemlich zugeknöpft gibt. Es geht dabei unter anderem um Gehälter, Personalschlüssel u.ä. Unter anderem sind 16 verschiedene Heimgesetze, Brandschutzgesetze und 16 verschiedene Pflegeschlüssel auf diese Weise entstanden. Neben den Wohlfahrtsverbänden spielen dabei private Betreiber eine immer größere Rolle. Sie mögen die Profiteure dieser abgeschotteten Entwicklungen sein, indem die Pflege durch die Pflegeversicherung zu so etwas wie einer Selbstbedienung geworden ist. „Wir hatten damals lange Warteschlangen und das Dreibettzimmer war Gang und Gäbe. Wenn sie heute aber nachsehen, werden Sie bemerken, dass wir viele stationäre Pflegeeinrichtungen haben, dass wir keine Wartelisten mehr haben und dadurch Wahlfreiheit...“ sagt ein einflussreicher Politiker von der CDU. Wer freilich mit alten Menschen in misslicher Lage zu tun hat und ein Pflegeheim zur Aufnahme sucht, macht ganz andere Erfahrungen und fragt sich, wovon diese Leute sprechen.

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