„Nach Allem inzwischen, was über den Tod gelehrt
worden, ist nicht zu leugnen, daß, wenigstens in Europa, die Meinung
der Menschen, ja oft sogar des selben Individuums, gar häufig von
Neuern hin und her schwankt zwischen der Auffassung des Todes als
absoluter Vernichtung und der Annahme, daß wir gleichsam mit Haut
und Haar unsterblich seien. Beides ist gleich falsch: allein wir
haben nicht sowohl eine richtige Mitte zu treffen, als vielmehr den
höheren Gesichtspunkt zu gewinnen, von welchem aus solche Ansichten
von selbst wegfallen.
Ich will, bei diesen Betrachtungen, zuvörderst vom
ganz empirischen Standpunkt ausgehn. – Da liegt uns zunächst die
unleugbare Thatsache vor, daß, dem natürlichen Bewußtseyn gemäß,
der Mensch nicht bloß für seine Person den Tod mehr als alles
Andere fürchtet, sondern auch über den der Seinigen heftig weint,
und zwar offenbar nicht egoistisch über seinen eigenen Verlust,
sondern aus Mitleid, über das große Unglück, das Jene betroffen;
daher er auch Den, welcher in solchem Falle nicht weint und keine
Betrübniß zeigt, als hartherzig und lieblos tadelt. Diesem geht
parallel, daß die Rachsucht, in ihren höchsten Graden, den Tod des
Gegners sucht, als das größte Uebel, das sich verhängen läßt. –
Meinungen wechseln nach Zeit und Ort; aber die Stimme der Natur
bleibt sich stets und überall gleich, ist daher vor Allem zu
beachten. Sie scheint nun hier deutlich auszusagen, daß der Tod ein
großes Uebel sei. In der Sprache der Natur bedeutet Tod Vernichtung.
Und daß es mit dem Tode Ernst sei, ließe sich schon daraus
abnehmen, daß es mit dem Leben, wie Jeder weiß, kein Spaaß ist.
Wir müssen wohl nichts Besseres, als diese Beiden, werth seyn“.
(Artur Schopenhauer, Die Welt als Wille und
Vorstellung)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen