Reise durch Wirklichkeiten

Samstag, 17. Dezember 2016

Werbung und Entgrenzung

Henri Nannen, der längst verstorbene hochberühmte Journalist und Redaktionsleiter, sagte einst, zu besseren Zeiten der Printzeitungen: „Aufgabe der Redaktionen ist es, den von den Anzeigenredaktionen frei gelassenen Raum zu einem von der Herstellung bestimmten Termin in einer für den Vertrieb geeigneten Weise zu füllen“. Und was verschafft den Raum für die Journaille? Anzeigen? Werbung? Anpreisungen? Der Journalismus scheint, wie er für sich selbst behauptet, etwas mit Inhalten zu tun zu haben. Die Werbung freilich hat inhaltlich allzuoft nichts mit den Produkten zu tun, für die sie Reklame macht, - schon gar nichts mit inhaltlicher Information. Die Bundesrechtsanwaltsverordnung bemerkt dazu, dass Werbung eine „allgemeine Anpreisung ohne sachlichen Inhalt“ sei. Die Versprechen, die sie macht, sind die Mittel eines permanenten Misstrauens, das desillusionierender ist, als es je eine zuvor war. Sie hält von den Dingen, die sie bewirbt, - nichts. Productplacement ist allzu oft ein Eingeständnis, dass niemand die von ihr beworbenen Produkte eigentlich braucht. Sie befördert die grenzenlose Produktion, - oft mit eingebauter Obsoleszenz - der kein Konsum mehr gewachsen ist. Das Endziel ist dann sowohl Leichenhalle also auch Müllhalde des Überflüssigen. Exzess ist das Ziel. Technologische Innovationen, wie etwa die digitale Revolution, forcieren auf der Produzentenseite eine überproduktive Arbeit, gekoppelt mit einer Abnahme der Arbeitsmöglichkeiten, der keine Expansion des Konsums mehr gewachsen ist. Wachstumsgrenzen werden zwar erreicht, doch in erster Linie stößt nicht die Produktion darauf, sondern der Konsum. Die Werbung zaubert für jedes Bedürfnis eine Nachfrage aus dem Hut. Aber um welchen Preis? Was fehlt, ist, dass etwas fehlt. Ein Trick der Werbung, der mir zuletzt oft aufgefallen ist, geht so: Es werden Spots produziert, die scheinbar aus dem Alltag zu kommen scheinen, mit allen Unvollkommenheiten, Versprechern, unbeholfenen Gesten usw. Diese Figuren empfehlen dann ein bestimmtes Produkt, eine bestimmte Marke in diesem unbedarften Alltagsdeutsch, das sich selbst beglaubigt und weit vom Werbedeutsch entfernt zu sein scheint, das ja immer mehr meint, als es sagt. Auch die sogenannten „Offenen Briefe“ gehören in diese Kategorie: reiner Inhalt, zum Nutzen und Frommen einer ganz bestimmten Meinung, hinter der manchmal auch Interessen und spendenfreudige Konzerne stehen.

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