Reise durch Wirklichkeiten

Mittwoch, 14. Juli 2021

Valerie (27)

Zu seiner Überraschung schien sie auf seinen Vorschlag eingehen zu wollen. Man könne ja noch einen Kaffee zusammen trinken, meinte sie. Er versuchte von nun an, seiner vermeintlichen Vertreterexistenz gerecht zu werden. Es war egal, früher oder später würde er ohnehin seine alberne Maske fallen lassen. Sie hatte bestimmt schon länger ihre Zweifel und würde davon nicht sonderlich schockiert sein, - oder gar amüsiert reagieren, das war ihm klar. Seine Existenz als eine Art Schriftsteller musste einer Studentin ohnehin viel sympathischer erscheinen, als die eines Vertreters für Glühlampen. Es fiel ihm auf, dass sie auch nicht mehr von der Universität und dem Drumherum erzählte. Man kam auf die jeweilige Lieblingslektüre zu sprechen und stellte etliche Gemeinsamkeiten fest. Unter anderem hatte sie viel Lyrik gelesen, wirklich gelesen und er konnte es sich nicht verkneifen, sie zu frage, ob sie Francois Villons „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ kenne. Sie lächelte und hatte ihn verstanden, dessen war er sich sicher. „Klar kenne ich’s. Ich kann mich sogar an einzelne Zeilen erinnern. Die Übersetzung finde ich übrigens gut“. Er dachte weniger an die Übersetzung als vielmehr an die Umsetzung dieses Textes. „Hast nur den Mund noch aufgespart für mich, so tief im Haar verwahrt“. Es fiel ihm auf, dass sie in einem roten Auto saßen, das jetzt gerade viel zu langsam war. Die Kilometer, die unter ihnen hinweg flogen, waren in Wirklichkeit viele Meter, die ihn von etwas tennten, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.

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