Reise durch Wirklichkeiten

Dienstag, 30. Juni 2015

Rituale der Leere

Aus einem Romanfragment, das an dieser Stelle in die Klosterkirche in Neresheim führt, wo eine Führung mit einem Mönch stattfindet:

Der Mönch erklärte uns all diese herrlichen Malereien, diese wunderbare Architektur mit einem einzigen ruhigen Blick, der so gut wie nie auf das Objekt seiner meist sehr klaren Ausführungen fiel. Er schien in sich und aus sich selbst heraus für uns genau das zu meditieren, was er seinen Zuhörern schon tausendmal erzählt hatte, einer Surre gleich, einem Mantra, einem in großer Selbstverständlichkeit verinnerlichten und unendlich oft wiederholten Bibelvers. Meditieren? Wie musste das sein, jeden Morgen in aller Frühe aufzustehen, sich vorne im Chorgestühl mit stets denselben Brüdern zum Gebet zu versammeln, „in der Fürbitte für die Welt“, wie unser Mönch gerade jetzt so selbstbewusst betonte? Würde uns das verändern? Würde so etwas eine Existenz verändern können, unsere Existenz, die sich gegenwärtig in ganz anderen Ritualen der inneren Leere zu erschöpfen schien? Ermüdet von diesem blinden Jagen nach Geld, nach diesem Stoff, der ja die Welt immer schon strukturiert hat, ganz unabhängig davon, ob sich Mönche in einer herrlichen Klosterkirche zur Fürbitte für eben diese Welt versammelt haben. Würde ein solcher Wechsel den Kern unserer Persönlichkeit berühren können? Nein, so etwas war natürlich nicht an einem dieser Entspannungs- und Wellnesswochenenden auszuprobieren, die dieser kleine Prospekt am Eingang der Abteikirche anbot. Dies wäre ein größeres Experiment. 

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