Mir
ist ein Bändlein über oder von Johann Wolfgang von Goethe in die Hände
gefallen, das für jeden Tag einen anderen Satz, ein Motto oder eine
Parole des Dichterfürsten anbietet. Natürlich sind solche
Sammlungen bei aller Art von Gläubigen beliebt. Die große Autorität. Die Durchblicker. Den „Spruch zum
Tage“. Also was sagt er, der Dichter? „ Alles, was wir treiben und tun, ist
ein Abmüden. Wohl dem, der nicht müde wird!“. Als eine Art
Aufmunterung empfand ich das nach langer durchwachter Nacht. Wirklich
nicht gut geschlafen. Leider werde ich dann während des Tages viel
zu oft müde, ich weiß es jetzt schon. Mit Kaffee erst mal diese
Bremse bekämpfen, um das Sein kämpfen, denn ich will heute was
erleben. Wenn wir aber, aus höherer Warte gesehen, dauernd am
Abmüden sind, dann macht das nichts aus, ist geradezu tröstlich.
Vielleicht entstehen aus diesem Schleier des Vorbewussten
interessante Einfälle, halbbewusste Vorstellungen, verzerrte
Wahrnehmungen, über die wir staunen könnten. Meistens aber, jaja,
ist da eine lähmende Passivität, die nach Ruhe und Stillstand
verlangt. Goethe scheint da auch ein bisschen neidisch auf diejenigen
zu sein, die nie müde werden. Ob so etwas mit dem Blutdruck zusammen
hängt? Oder eine Veranlagung ist?
Der Jet Lag zumindest macht alle
müde und lätschig. Ich habe es oft mit einem halben und höflich
verschämten Seitenblick erlebt. Schlimm ist es, wenn das Individuum
morgens sich abschnallt und aus dem Flugzeug geht. Da sind genervte
Gesichter, da ist ein Stolpern, ein Abgreifen ohne jede Kontrolle,
ein Wanken, lauter in der Luft stehende Wünsche nach Schlaf. Ein
einziges offensichtliches Abmüden also. Danach erstehen offenbar
wieder lauter fitte und optimistische Menschen, die ihr Abmüden
überwunden haben. Oder auch nicht? Die kleinen Minicomputer an der
Hand, dort wo früher die Armbanduhr prangte, werden's wohl wissen
und die diesbezüglichen Daten (samt ein paar anderen) schnell den
Versicherungen und anderen geneigten Institutionen übermitteln.
Jemand, der zur Abmüdung neigt, der neigt auch zum Autounfall, -
oder?. Oder zu anderen unkontrollierbaren Fehlleistungen. Der bedient irgendetwas falsch. Der versteht ein Gadget miss. Ein Tool. Der weiß zu wenig damit umzugehen. Die Hypothese muss überprüft werden. Danach freilich gibt’s
Rabatte für diejenigen, die nicht so schnell müde werden, die nicht abmüden. So ist Goethe heute
zu verstehen. Vielleicht.
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