Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 7. Juni 2015

Adieu Winnetou

Pierre Brice ist tot. So hieß es gestern in den News. Er wurde in tausend Bildern gezeigt, wie er einst bei Horst Wendlandt oder Atze Brauner den Film-Winnetou machte, wie er ihn sehr viel später in Bad Segeberg freilufttheatralisch wieder aufnahm und wie er als alter Mann immer noch glaubhaft den Schönling geben konnte. Sagenhaft. Auch seine zahlreichen Affären waren nicht verschwiegen. Es werden wohl Trophäen seiner Wirkung gewesen sein. Er wurde überwiegend als reale Person gewürdigt. Klaro. Mir freilich hat sich sein Winnetou-Bild von damals für immer mit der Karl May-Figur des Winnetou verbunden. Dass er Blutsbrüderschaft mit Old Shatterhand geschlossen hatte auf diese elementare Weise, das hat sich mir eingeprägt und war sicherlich einer der Anstöße für mein Interesse für andere Kulturen und später für die Neugier auf ein Weltbild, wie es bei den Indianern des Westens sich entwickelt hatte.Winnetou irrlichterte in meinen Träumen herum und hatte wie selbstverständlich das Gesicht von Pierre Brice. Karl May hatte ja viele Reiseromane geschrieben, in denen er Kara Ben Nemsi und andere markante Figuren auftreten ließ. Das war wahrer als jene Wahrheit, die einem später neugierige Wahrheitsempiriker enthüllten: dass nämlich Karl May nie in diesen Ländern unterwegs war, dass alles „erstunken und erlogen“ war. Aber der Triumph war, dass er seine Phantasie dorthin schickte und uns alle daran teilhaben ließ. Dass es etwas jenseits der Lüge und der Macht des Faktischen gibt. Ernst Bloch hat es einst Utopie genannt. Schillernd verführerisch. Aber auch gefährlich. May hingegen war mit der schieren Illusion zufrieden, so, wie es beispielsweise der Film an und für sich ist.
Doch zurück zu Winnetou und Pierre Brice. Als Brice in Bad Segeberg anheuerte, waren wir alle froh: Winnetou war endlich zu sich selbst zurück gekehrt. Er ließ nicht andere sich selbst spielen. Die Welt war wieder in Ordnung. Völlig unwesentlich, dass damals bei den Dreharbeiten jugoslawische Karstlandschaften den Westen abgegeben hatten. Es war ja ohnehin die Phantasie, die siegte, der Traum, der uns regierte. Das Wilde, Elementare war ein Mythos, der wilde Westen das Abenteuer. Hinzu kam eine Prise unterschwelliger Erotik, denn mit Dahlia Lavi als Indianerin Paloma und Marie Versini als Nscho-Tschi waren ja meist zwei höchst attraktive Damen dabei. Pierre Brice oder Winnetou nahm das alles mit, wie selbstverständlich läufig beiläufig. Eine Zeitlang war es Kult. Bis die handelnden Personen älter wurden und schließlich der Reihe nach starben. Jetzt ist die letzte und wichtigste Person dieses Mythos im realen Leben gestorben. 

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