Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 18. März 2021

Über Hermann Hesse

Eigenbrötler und Liebling der Massen Hermann Hesse, Steppenwolf und die Rockmusik Hätte sich jemand diesen vogelig dreinblickenden Mann mit dem Sonnenhut und der Nickelbrille lauthals mitgrölend auf einem Rockkonzert vorstellen können? Oder gar hemmungslos auf einer La Ola-Welle dahinwogend? Nein, mit den Massen hatte es der Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse überhaupt nicht. Er gab sich nur zu gerne als überzeugter Individualist, als belesener Schöngeist und Eigenbrötler, der vor den Regungen großer Massen ein ständiges Misstrauen empfand, ja, der sich vor ihnen regelrecht schauderte. Und just in seinem Todesjahr 1962 war es ja erst, als sich die Beatles anschickten, die Popmusik im heutigen Sinne zu einem Massenphänomen zu machen, nachdem Elvis diesbezüglich ja schon in den Fünfzigern erste Dämme gebrochen hatte. Nein, irgendwo als kreischenden Fan im Publikum kann sich Hesse kaum jemand vorstellen. Aber vielleicht auf die Bühne, vor die Massen, da hätte der Mozart-Bewunderer hingepasst. Als eine Figur, nicht so harsch und spröde wie Bob Dylan, aber dafür poetisch verspielt wie Leonard Cohen. Als sanfter Erzähler und Verseschmied, der die Dinge des Lebens mit bildhaften Versen hätte sehr einprägsam und eingängig auf einen romantisch klingenden Punkt bringen können. Einer, der die Ausstiegsphantasien der Flower Power-Kinder und die Weltfluchtutopien der Hippie-Bewegung in den sechziger und siebziger Jahre massenwirksam hätte bündeln und bei Konzerten auf sich vereinen können. Und hat er sich nicht etwa als leiser Apologet des Drogengebrauchs missverstehen lassen? Nicht umsonst hat ihn der Pop Art-Pionier Andy Warhol in seinem berühmten Porträt ja als eine Art umnebelten Kiffer abgebildet. War sein Held Harry Haller im berühmten Roman „Der Steppenwolf“ auf seiner Reise nach Innen nicht an diversen künstlichen Paradiesen vorbeigekommen, um dabei ein Panoptikum der phantastischen Möglichkeiten geschaut und die Abenteuer der anarchistischen Entgrenzung zu proben? Und hat dieser Harry Haller etwa das Angebot des Musikers Pablo abschlagen können, aus einer vergoldeten Dose eine Prise weißen Pulvers zum Schnupfen zu sich zu nehmen? Ach ja, für die Hippiegeneration war ja alles so eindeutig, für sie war Hesse ein Popstar, mochten die verknöcherten Philologen in Europa noch so sehr vor der Vereinnahmung und Vereinfachung der Gedankenwelt des Pfarrersohns aus Calw warnen oder ihn in die Nähe der Trivialliteratur rücken. 1970, 8 Jahre nach dem Tod des 84 Jahre alt gewordenen Autors, deutete der Drogenpapst und Hochschullehrer Timothy Leary den „Steppenwolf" als „Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis" und empfahl, „vor deiner LSD-Sitzung den Steppenwolf als ein unschätzbares Lehrbuch" zu lesen. Der „wirkliche“ Hesse hat zwar öfters mit dem Dämon Alkohol gekämpft. Doch über weitere Drogenexzesse ist nichts bekannt. Schon zu Beginn der sechziger Jahre waren seine Bücher in den USA zum Bestseller geworden. Eine ganze Generation schien plötzlich Hesse zu lesen, seine Werke lieferten das Modell eines Selbsterfahrungstrips. Und so, wie Hermann Hesse sich selbst und seinen Harry Haller zeichnete, als Außenseiter des bürgerlichen Welt, als schöpferischer Rebell gegen die Welt des Festgefügten und Selbstverständlichen, so wollte in dieser Zeit ohnehin jeder sein. Von den frühesten Werken wie etwa dem Schülerroman „Unterm Rad“, über den Landstreichererzählung „Knulp“ bis hin zum „Steppenwolf“ hatte Hesse das Aufbegehren in der Figur des einsamen Nonkonformisten gezeichnet. Hinzu kam seine Vorliebe für fernöstliches Gedankengut, das unter anderem ganz direkt in Werke wie „Siddharta“ und „Die Morgenlandfahrer“ eingeflossen war und nun den Selbsterfahrern in aller Welt die willkommene Anleitung für die eigene Nabelschau lieferte. Selbst der sexuellen Emanzipation konnte der im pietistischen Milieu aufgewachsene Hesse ein paar – aus heutiger Sicht harmlose - Bilder und Phantasien liefern: so lässt sich Harry Haller als Steppenwolf in eine Menage à trois mit seinem weiblichen Gegenbild Hermine und der Prostituierten Maria ein, der der Musiker Pablo noch einiges an zusätzlicher Würze verleiht. Aber auch der einer Kommune gleichenden Gemeinschaft von Gleichgesinnten lieferte der schwäbische Egomane so manches Modell: In seinem 1919 unter Pseudonym veröffentlichten Roman „Demian“ trifft sich eine Gruppe Suchender sehr verschiedener Art, zu der, wie Hesse schreibt, „Astrologen und Kabbalisten, auch ein Anhänger des Grafen Tolstoi, und allerlei zarte, scheue, verwundbare Menschen, Anhänger neuer Sekten, Pfleger indischer Übungen, Pflanzenesser und andere“ gehören. Dominiert wird diese Gruppe von einer erotisch sehr anziehenden „Frau Eva“, was dem Titelhelden so manches in verquasten Bildern ausgemalte Begehren aufbürdet. Modell für die Hippie-Kommune? Oder gar Vorläufer eines Swingerclubs? Hesse selbst hatte sich zeitweise zu einer Monte Verita bei Ascona ansässigen Gruppe von nackten Naturmenschen der damaligen Alternativkultur hinzugezogen gefühlt, die dem bürgerlichen Dasein mit sexueller Ausschweifung, langen Haaren und Jesus-Sandalen trotzten. Ende der sechziger Jahre, als solche Fakten nicht nur den Angehörigen der Studentenkultur geläufig waren, tauchte eine Rockband mit dem Namen Steppenwolf auf, um dem Hesse-Kult eine laute Dimension zu verleihen. „Like a true nature's child, we were born, born to be wild, we can climb so high, I never wanna die - wie Kinder der Natur, sind wir geboren, geboren, um wild zu sein, wir wollen noch so hoch hinaus, ich werde nie sterben” nölte mit brüchiger Stimme ihr Sänger, der sich zwar John Kay nannte, aber für amerikanische Hesse-Fans eine ganz besondere Hesse-Glaubwürdigkeit dadurch ausstrahlte, dass er 1940 als Joachim Krauledat im ostpreussischen Tilsit geboren und in Hannover aufgewachsen war. In schwarzem Leder und dunkler Sonnenbrille machten Kay und seine vier Musiker den Titel „Born to be wild“ einen Sommer lang zur Jugend-Hymne, die sie anschließend im Kino-Hit „Easy Rider“ noch einmal massenwirksam verwerteten. In Taugenichts-Manier zusammen mit Dennis Hopper und Peter Fonda auf einer Harley die weite Welt der amerikanischen Westens zu befahren und dabei kein am Weg liegendes Vergnügen auszulassen, das hätte Hesse wohl auch gefallen, auch wenn er’s als Geistesmensch mit pietistischer Herkunft nicht zugegeben hätte. „Er lehnt die Normen der Mittelklasse ab und dennoch versucht er, ihnen gemäß sein Glück zu finden – genau wie wir“, ließ Kay damals über seine Seelenverwandtschaft zu Hesse verlauten. Obwohl sie wegen ihrem rüden Sound und der ebenfalls in „Born to be wild“ vorkommenden Textzeile „I like smoke and lightning, heavy metal thunder“ als Begründer des Heavy Metal gefeiert wurden, währte das Glück für die Musiker von Steppenwolf nicht lange: 1972 war die Band am Ende. Doch ihr Mythos stand erst am Anfang. In zahlreichen Wiederauflagen und wechselnden Besetzungen versuchte John Kay von 1974 an seinen Steppenwolf immer wieder mal auf Trab zu bringen und den Ruhm vergangener Tage anzuzapfen. Am 3. August gastieren John Kay und Steppenwolf beim Hermann Hesse-Festival auf dem Marktplatz in Calw. Mit dabei an diesem Abend: Die schwäbische Band Anyone’s Daughter, die 1981 eine Vertonung des Hesse-Märchens „Piktor’s Verwandlungen“ eingespielt hatte und die es jetzt zusammen mit Heinz Rudolf Kunze, dem Lehrer Lämpel der deutschen Rockmusik, in veränderter Besetzung noch einmal auf die Bühne bringen will. Zur Eröffnung des Hermann Hesse-Festivals am 29. Juni freilich wird eine Band aufspielen, die zumindest hierzulande das alternative Lebensgefühl der späten siebziger Jahre am besten verkörpert: BAP, deren Mitglieder bis auf ihren Sänger und Kopf Wolfgang Niedecken nach der jüngsten Umbesetzung keineswegs mehr aus Köln kommen. Doch mögen nicht nur die Namen dieser Bands, sondern auch so manche Ideale des gefeierten Jubilars in die Vergangenheit weisen, eines steht fest: Hesse ist ein Popstar der Literatur.

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