Es gibt wohl Sinn- und Lebenswelten, die sich speziell in den
Industrienationen immer mehr ausdifferenzieren. Zeichen, Rituale,
Verhaltensweisen und Bezüglichkeiten, mit denen wir uns jeden Tag
dieser Realität wieder versichern. Ein Rapper aus der sozialen
Unterschicht geht mit seinen „Gewissheiten“ durch seine Welt, ein
Konzernlenker badet in der Selbstverständlichkeit, dass ihm seine
Mitmenschen alltäglich alle jederzeit gefügig seien und dass seine Limousine samt dem mit einer lächerlichen Uniform angetanen Chauffeur jederzeit bereit stehen. Im Kopf wägt er dauernd Strategien ab, sich gegen Mitwettbewerber "durchzusetzen". Ein
Internet-Nerd in den frühen Zwanzigern macht in seiner Agentur auf Selbstausbeutung und kündigt schon mal an, dass heute bis nach 24 Uhr gearbeitet werde.
Der Auftrag! Der Druck! Ein fremdes Müssen! Eine Leidenschaft für
eine Leistung, deren Lohn andere kontrollieren.
Ein Bauer bringt
seinen Mist aus und ein Fabrikarbeiter schafft am Band,
möglicherweise ohne sich suchen zu können. Das System sagt ihm tausendendmal: Du musst dankbar sein, dass du überhaupt arbeiten darfst! Ein Rechtsanwalt im weißen Hemd
gibt seiner Gehilfin schon am frühen Morgen einen Arschtritt, um sie
für ihren fremdbestimmten Tag anzufeuern. Alle sind sie legitimiert
durch dieses gesellschaftliche Einverständnis, das sich als
möglichst gottgegeben und unveränderlich darstellt, weil durch
eine erbrachte Leistung legitimiert. Dabei ist auch das gesamte
Kommunikationssystem eingeschlossen, das unter anderem Tribalismus
und allerlei Verhaltensmodelle umfasst. Die Folge: Einer versteht den
andern nicht mehr. Es differenziert sich die menschliche Formation
nach Alter und nach sozialer Herkunft aus, die übrigens auf
verschiedenen Wegen mit der sogenannten „Bildung“ zusammenhängt.
Was das sei, auch darüber gibt’s inzwischen sehr verschiedene
Ansichten. Rein technokratisches Einordnen in die
Verwertungszusammenhänge (also möglichst ein Ingenieur sein, weil
dieser etwas Verwertbares „schafft“!) und ökonomischen
Bedeutsamkeiten läuft so etwas wie einer „Menschwerdung“
entgegen. Sie hat ihre Wurzeln möglicherweise im Humanismus, der
davon ausging, dass der Mensch seine verschiedenen Seiten möglichst
zur Blüte bringen solle und sich dadurch erfahren könne. Star sein, prominent sein, das hingegen resultiert aus purer emotionaler
Erfahrung. Aus Input, Impact. "Leistungselite". Ein Nobelpreisträger ist nichts, ein It-Girl, das in einer Fernsehsendung etwas vor sich hin trällert, ein Rennfahrer, der eine spritverschleudernde Kiste möglichst schnell im Kreis fahren kann, werden gefeiert und vergöttert. Von wem? Von "den Anderen". Sie lechzen nach "Siegern" in einem fortwährenden Wettbewerb. "Powered by emotion".
Das allumfassende Band einer solchen Gesellschaft ist nur
noch und ausschließlich die fortwährende Kosten/Nutzen-Abwägung,
die sich am Profit orientiert. Wie kann ich bei möglichst geringem
Aufwand ein möglichst effektives Ergebnis erzielen? Die
Möglichkeiten des Profites und die des Überlebens sind zudem ganz
wesentlich und von vornherein geographisch differenziert. Wer aus der
mitteleoropäischen Region stammt, hat Glück gehabt. Wer in Afrika
geboren wurde, hat seine liebe Müh, über die Runden zu kommen.
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