Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 15. Januar 2015

Autobahn

Welche Verachtung liegt denn da dahinter? Ich war nahezu jeden Tag auf der Autobahn unterwegs und allzu oft ballten sie hinter und neben mir die Faust, überholten mich demonstrativ rechts, fletschten die Zähne und machten wild fuchtelnd Fotos mit dem Handy, wobei manche Verkehrsteilnehmer über solchen Übungen die Kontrolle über ihr Fahrzeug komplett zu verlieren drohten. Dabei glaube ich, ein vergleichsweise empathischer und gelassener Fahrer zu sein, der den Flow nicht gerade verzögert. Jaja, die schlauen Psychologen erklären einem, dass sich die Leute im Straßenverkehr eine Art Tarnkappe der Anonymität überziehen und unter deren Schutz glauben, „mal richtig die Sau rauslassen“ zu können. Mir kam es aber oft so vor, als würden die Leute ganz bewusst in ihrem Streitwagen sitzen, und ihren Pferdestärken die Sporen geben, nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“ und "ich bin im Wettbewerb". Der andere ist da nur noch Gegner und die Gesamtveranstaltung könnte „Krieg mit anderen Mitteln“ heißen. Nicht nur die „political correctness“, sondern allerlei moralisch-ethische Maßstäbe schieben einem solchen Verhalten zumindest in Europa den Riegel vor. Aber die zivilisatorische Decke scheint recht dünn zu sein. Es geht darum, den anderen fertig zu machen, ihn zu übertrumpfen, ihn zu „versägen“, ihn zu erledigen: Als ein Ventil des Alltags, zu dem man den von Jahr zu Jahr immer neu mit Pferdestärken und Kilowattstunden aufgerüsteten Streitwagen an den Start bringt. Man hat den sogenannten Wettbewerb verinnerlicht, man scheint ganz unwillkürlich und scheinbar selbstverständlich zu glauben, dass das ganze Spiel des Gewinners und Verlierers einen legitimiere, den anderen vernichten zu dürfen. Empathie und Rücksichtnahme sind da nur Schwächen. Jawohl, der Wettbewerb erlaubt alles. Es gilt der allüberall so verherrlichte „Wettbewerb“. Da wird bis kurz vor der Messstelle, mit der der Staat als Raubritter an der Veranstaltung auch gerne teilnimmt, munter Gas gegeben. Unmittelbar davor kommt die große Bremsaktion und der Wagen wird brutal bis zur geforderten Geschwindigkeit herabgebremst, kurz danach wieder herb beschleunigt. Auch sehr ökologisch, das! Die Checker, die Bescheidwisser und cleveren Überholer sind halt unterwegs. Sie bringen unter anderem auch diese Art der staatlichen Abkassiererei hervor. Es könnte ja auch darum gehen, Feinstaub oder Lärm zu vermeiden. Es könnte darum gehen, Gefahren zu vermeiden, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Könnte ja eine Überlegung wert sein und könnte ja auch mal Sinn haben.
Es gilt das Recht des scheinbar Stärkeren. Es ist dies auch das Gängige, was jeder weiß. Wirklich? Wieso verhält er sich dann aber auf der Autobahn wie eine Sau? Wider besseres Wissen? Ist vielleicht das Wissen und der Verstand gar nicht das Entscheidende? Werden wir von rudimentären Trieben zu unserem Verhalten gebracht? Von losgelösten Emotionen? Mehr als wir denken?

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