Reise durch Wirklichkeiten

Montag, 23. August 2021

Die "Tüchtigen" revisited

Wir fragten uns, wieso die und nicht ich? Natürlich war da immer schon ein bisschen Neid dabei. Die kassierten die Einser, waren in allem die Besten und oberfleißig. Wir dagegen hatten Mühe, die Mindestanforderungen zu schaffen und kriegten meist erst im letzten Moment die Kurve. Eigentlich verachteten wir diese Leute, der Zeitgeist schien damals auch etwas Anderes vom Menschen zu verlangen. Individualisierung war angesagt, suchen, sich vergeuden an allerlei Aktivitäten, sich für eine Gesellschaft einsetzen, in der Vieles für Viele möglich sein würde. Gleichheit und Brüderlichkeit. Aber da waren diese unbedingt leistungsbereiten Geister: die mussten anscheinend unbedingt sein, waren uns selbst aber mindestens unangenehm. Wir nahmen sie nicht so richtig ernst. Sie strebten, wir ließen uns treiben. Aus heutiger Sicht jedoch scheint sich vieles geändert zu haben. Talent vorzeigen, besser sein als andere, das Besondere an sich schon früh umsetzen in Richtung auf vorzeigbaren Erfolg, sich "optimieren". Eine große Zeitung schrieb über eine für jeden sichtbare Erfolgsdame: Heute sei schnell klar, dass sie damals „schnell, intelligent, verblüffend offen und unverschämt widersprüchlich“ sei. Sie sei aber schon als Baby „sozialbegabt und süß“ gewesen, mit „pumuckelhaft großen Ohren“ und großer Nase. Später dann: „Einserschülerin, immer und überall Klassenbeste, Studienstiftung des deutschen Volkes, University in England, drei Kinder und Doktor der Chemie in Göttingen, magna cum laude, CDU-Anhängerin. Gründung eines Unternehmens auf der Basis eines Patents usw. Wir erblassen...... Elite würde man so etwas heute nennen, Schwaben sagen dazu „a Käpsele“. Ich hatte nie eine positive Einstellung zu solchen Leuten, weil ich immer auch eine voll entwickelte Rücksichtslosigkeit und optimale Anpassung an die vorgegebenen Verhältnisse im fast Darwin'schen Sinne hinter ihrem Erfolg vermutete, was mir stets zuwider war und noch ist. Jedenfalls würde heute so jemand, mit dem ich damals im Wettbewerb stand, möglicherweise gut honoriert in zahlreichen Aufsichtsräten sitzen. Man hätte sich ein bisschen profiliert und nach vorne gebracht, aber nicht so, dass es die Karriere vor lauter zur Schau getragenenem Ehrgeiz verdorben hätte. Man hätte seine Schlagfertigkeit gegen Konkurrenten genutzt und wäre „wichtig“ geworden. Man hätte sich als „Marke“ eingeprägt. Man hätte ein Netz von Beziehungen geknüpft ("Networking"), die einem später, nach diversen Eskapaden zur Schärfung des eigenen Profils, sehr zustatten gekommen wären. Man hätte zuvor ja ohnehin ein rennomiertes Privatgymnasium besucht und wäre Anwalt geworden. Man wäre das geworden, was die Talkshows gerne als „Persönlichkeit“ vorzeigen und Erfolgsmodell propagieren. Suspekt waren mir diese oberangepassten und ach so tüchtigen Personen jedoch allzumal, auch heute noch kotze ich ihre oberschlauen Kommentare ab......

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