Reise durch Wirklichkeiten

Mittwoch, 5. Mai 2021

Heimat revisited

In einer mit kleinen Ergänzungen und Auslassungen versehenen Reprise zu meinem Blog vom 5.5.2018 schreibe ich jetzt zu einem ein bisschen aus dem Blickfeld geratenen Begriff: „Heimat", - das ist eine Landschaft, - und mehr. Vielleicht der Wunsch, dazu zu gehören, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die tief in uns verankert ist. Einen Ort zu haben, an dem man sich nicht erklären muss. Das Gefühl, dort willkommen zu sein. Einen Ort haben, an dem man sich sicher fühlen darf. Eine Erinnerung an die Kindheit, als die Welt einem vertraut erschien. Man entdeckt, Wurzeln zu haben. Verhätnisse, aus denen man gekommen ist. Heimat könnte Aufbruch und gleichzeitig Rückkehr bedeuten. Immer mehr Leute fürchten sich davor, ihre Heimat zu verlieren - und damit ihre Identität. Es herrschen Landflucht auf dem Dorf und steigende Mieten in den Städten, wo anscheinend die vielen Optionen wohnen. Eines aber scheint überall wichtig zu sein: Alle (ob Stadt oder Land) müssen flexibel sein und sich durchkämpfen in einer globalisierten und durchkapitalisierten Welt. Auch in Zeiten der Pandemie. Jetzt, wo die früher in SciFi-Literatur vorgedachte Zukunft nach und nach Wirklichkeit wird, könnten wir plötzlich unter Umständen gar keine Zukunft mehr haben. Es scheint eine Welt entstanden zu sein, die Entmaterialisierung bedeutet. Alles scheint ähnlicher zu werden, gleich zu werden, alles verschwimmt, Menschen sind in den neoliberalen Zusammenhängen „Humankapital“. Nummern, Zahlen, Positionen, Kosten. Wirtschaftliche Kreisläufe, Lieferketten und Renditeaussichten scheinen wichtiger zu sein. Verwurzelung und Identität scheint angesichts dessen das am meisten verkannte Bedürfnis der menschlichen Seele zu sein. Aktuell scheinen sich Leute davor zu fürchten, durch Überfremdung ihre Heimat zu verlieren. Das bedeutet auch Clans und Ahnen, denen wir verbunden sind, ohne dass wir das wollen. Es gibt Menschen, die glauben, dass Heimatverbundenheit nicht mit der Angst vor Fremden verknüpft sein muss. Heimat sei nicht unbedingt, so glauben Leute, an den Ort gebunden, an dem man geboren wurde. Der Heimatbegriff, so halten manche Soziologen dagegen, zeige genau die Trennlinie zwischen der akademisch gebildeten, im Urbanen lebenden Mittelschicht und der traditionellen, oftmals noch der Industriemoderne verhafteten Mittelschicht. Die Heimatfraktion sei in die Defensive geraten. Linksliberale Kosmopoliten predigten Heimatliebe ohne Ausgrenzung und würden damit Gefahr laufen, allzu heuchlerisch zu sein. Denn diese klassisch Linksliberalen werfen womöglich anderen etwas vor, was sie selbst tun. Und zwar werfen sie anderen vor, dass sie Migranten und Flüchtlinge nicht integrieren würden. Sie selbst seien aber gar nicht erst in der Situation, dass sie mit Flüchtlingen und Migranten konfrontiert seien, weil sie in derart gefilterten und materiell abgefederten Lebensumständen leben, dass Migranten für sie keine Problematik darstellten. Ja, dass sie ihnen in ihrer gefilderten Wahrnehmungsblase kaum begegneten. Darin, was Heimat sein soll und wie sie geschützt werden soll, zeigt sich insofern auch die Spaltung der Gesellschaft. Es resultieren daraus verschiedene Lebenswelten, verschiedene Schichten, verschiedene Arten, mit der Welt umzugehen. Sehr offensichtlich wurde dies übrigens auch in den Berichten über gewisse prominente Amtsträger der Sozialdemokraten, die ihre Sprösslinge auf teure Internate und Privatschulen schicken und keineswegs daran zu glauben scheinen, was sie selbst dauernd predigen (Ein einstiger Vorsitzender macht es gerade vor...). Der empirische Beleg für eine solche Behauptung könnte sein, dass sie ihre Sprösslinge auf teure Privatschulen schicken und zu Bankaufsichtsräten werden. Sie haben ein Bild von sich entworfen, das in einem Gegensatz zu ihrer „privaten“ Existenz steht. Vorgetäuschte und tatsächliche Lebenswelt. Dass es nicht darum gehen soll, woher man kommt, könnte auch ein Mythos sein, ein Wunschbild. Denn Heimat ist gerade nicht nur Option und freie Wahl. Man ist bedingt durch das, was schon war. Heimat ist gerade nicht das, was man durch freien Willen sich wählt. Sondern man ist hinein gewachsen. Auch durch Sozialisation. Man versteht die Leute in dieser Heimat unwillkürlich besser, sie sind einem nah, man agiert und bewegt sich wie selbstverständlich, wie im Schlaf. Es scheint eine Art realer Traum zu sein. Es gibt den Ort der Geburt als Schicksal. Man ist hinein geboren worden, hat ihn sich nicht heraus gesucht. Wir sind nicht nur autonome Menschen, die sich ihre Existenz frei gewählt haben. Wir sind auch durch unsere Herkunft und unsere Geschichte, durch Zufälle, Glück und Unglück geprägt. Man ist hinein geworfen. Wie sang Jim Morrison (klar, ich weiß, dass er das möglicherweise auch geklaut hat): „Riders on the storm, into this house we're born, into this world we're thrown, Like a dog without a bone, an actor out on loan, Riders on the storm“. Man lässt sich zurück gleiten, Richtung Heimat, Richtung Ursprung, man begegnet sich selbst und denkt am Ende darüber nach, wieso man so ist, wie man ist. Wieso man so geworden ist.... Es kann auch bedeuten, dass man anfängt, zu akzeptieren, dass man nicht einzigartig ist, sondern dass man Teil von etwas Größerem ist. So etwas deutet vielleicht auf Schwarmintelligenz und das, was später allzuoft als „Herdenimmunität“ beschworen wurde. Und dann ist da das Oberflächliche. Das, was einen als gerne verkündete „Lebensweisheit“ oder als mühsam erarbeitete Erkenntnis ermüdet hat. Tausend mal gehört, tausend mal nichts passiert. Das, dass tausend Leute um einen herum sagen: „Man muss in der Gegenwart leben“. Klar. Man blickt auf die Kindheit zurück, sieht Bilder und Fotos und denkt: „Wer zum Teufel war das?“ Das ist eine Ebene. Es gibt womöglich auch eine andere. Dinge stoßen einem zu, sie „überfallen“ einen. Gab es intensive Erlebnisse? Die einem die eigene, ganz eigene Präsenz nahe legten? Wie war das damals, als du aus dem Auto gefallen bist? Hattest du danach das Gefühl, du hättest einen Schutzengel gehabt? Wieso hast du bei diesem Desaster so abgeschnitten, bist am Leben geblieben, als sei nichts gewesen? Gibt es mögliche Welten, Abzweigungen? Welche, die dich geprägt haben? Hat man wirklich Entscheidungen gefällt? Oder haben sie dich gefällt? Ich hatte nie das Gefühl, Wichtiges und für andere Erhellendes zu erzählen zu haben. Das ist nach wie vor so. Weder im fiktiven noch im realen Bereich. Alles, was möglicherweise auf mich zutrifft, stellt sich bei anderen ganz anders dar......

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