Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 28. Januar 2021

Caravaggio

Die folgenden Zeilen gehen auf einen Besuch in Rom zurück. Ich war damals scharf auf Caravaggio: Ein Gemälde von Caravaggio bewährt sich auch in großer Hitze, weil es meist in klimatisierten Räumen steht. Aber auch, weil es uns hineinzieht in seine eigene Realität und uns scheinbar Lästiges vergessen lässt. Weil darin eine verdichtete Wirklichkeit aufgehoben sein könnte. Weil es starke Momente in sich aufgesaugt hat und sie uns wiedergibt. Weil es aufgeladen ist mit Bedeutungen, - ja, auch mit den ganz sinnlichen Bedeutungen, - die helfen können, später wieder in der Hitze hinaus zu gehen. Gestählt. Wieso eigentlich so etwas den amtlich bestallten Kunstlehrern überlassen, den professionellen Bescheidwissern und Bildungsbürgern, die so etwas schon längst abgehakt haben und ohnehin alles besser wissen? Sind diese Bilder, diese Gemälde eigentlich etwas zum besser Wissen? Alles vergessen, alles auf der Stelle wegwerfen! Sofort! Am besten sich hinein fallen lassen in diese Realität, die um die 400 Jahre alt ist! Er frischt die Birne besser als koffeinhaltiges Cola. Was für eine Welt, was für eine Wahrnehmung muss da geherrscht und die Köpfe beherrscht haben! Ohne Fernsehen und Laptop, Telefon, Smartphone und Flieger? Ja ja, die Randbedingungen, die können uns die kundigen Erklärer in ihren trockenen Worten bestens auseinandersetzen. Welche Funktion Kunst hatte, Frühbarock und all das. Sie sind ja im Besitz der allein gültigen Deutung, naturgemäß, und haben ohnehin alle alten Meister begriffen, Ihre Gemälde sowieso. Jetzt aber endgültig weg damit! Das ist doch nur eine Möglichkeit! Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, die mehr der Stärke dieser Gemälde selbst vertraut! Konzentrierte Momente, zu Bildern geworden, sind sie hier bei Carvaggio. Wir in unserer Realität konzentrieren uns doch nur noch gezwungenermaßen, im Job vielleicht. Ansonsten entspannen wir uns und verpassen die großen Dinge. Dieser Lombarde hat vielleicht aber die wesentlichen Dinge festzuhalten versucht. Und er hat sie in sein Licht getaucht. Unglaublich, wie dieser Typ mit dem Licht umgeht! Wie er seine mit dem Pinsel festgehaltenen und der Zeit abgetrotzten Momente damit steigert! Dahinter brütet das Dunkle, das Ungewisse und das Geheimnis. Ob diese Gegensätze auch zum Wesentlichen gehören? Seine Bilder eröffnen eine Ahnung davon. Sie ziehen einen hinein. Sofort stellt sich aber auch das Klischee dazu ein: Caravaggio, der ja eigentlich Michelangelo Merisi hieß, als verruchter Herumtreiber, als bisexuelles Genie, als Außenseiter, ewigen Outlaw und unverbesserlichen Rowdy. Für den die göttliche Liebe mit der sehr irdischen Liebe zusammengefallen sind: Klar, mag sein. Ist doch egal, ob das alles stimmt, was ihm nachgesagt wird. Was wichtiger ist: Er hat all das, seinen ganzen Horizont, eingepackt in seinen Bildern. Auch die afroamerikanische Musiktradition singt uns dazu so manches Lehrstücklein. Blues, Gospel, Soul, Songs. „Crossroads“. Dämonen und Engel. Verdichtete Momente. Geschäft auch. Caravaggio hatte mächtige Auftragsgeber und den Markt im Auge. Wie ein Popstar. Spagat zwischen der eigenen Identität und dem mit der Macht der Kohle ausgestatteten Kultur-Establishment. Er hat dann aber diese unfassbaren Dinger herausgeschleudert. Spirit, - spirituell. Sprit und Treibstoff aller Art: Trieb und Getriebensein. Geistiges, Geistliches und die Geister. Aber auch Humor und Ironie sind darin aufgehoben. Leichtigkeit - und nicht nur der seichte Abglanz davon.... In der Bilderflut von heute geht so etwas dann doch nicht so schnell unter. Das ist starker Stoff. Mal ehrlich, dieser schnellen Klicks und Kicks sind wir doch überdrüssig! Seine Bilder fordern Zeit und die Bereitschaft, sich einzulassen auf sie. Das dürfen sie. Das ist gut so. Alle fordern etwas. Aber bei diesen als Gemälde verdichteten Momenten kommt viel zurück zu uns: auch dieser lichte Moment, in dem wir gleichzeitig wissen und fühlen, dass wir endlich sind. In diesen Tagen jährt sich Caravaggios Todestag zum 400. Mal.

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