Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 3. Juni 2018

Primus

Die Überangepassten waren uns suspekt. Diejenigen, die in der Schule und „im Leben“ überall Einser hatten. Die Musterschüler. Die Stipendienerhalter. Als „Primus“ bewährt. Die „Durchsetzungsfähigen“. Die „Karrierebewussten“. Die überall vorne dran waren. Die unbedingt Medizin studieren wollten. Die als „große Begabungen“ galten. Die „Schlauen“. Dahinter vermuteten wir die falschen Gründe. Wohl auch zu recht. Die schienen dem System allzu willfährig zu sein. Aus unserer Perspektive. Wir wollten da nicht mithalten. Denn wir glaubten uns im Recht. Pointe: Später schnitten sie uns eine lange Nase, die Karrieristen. Sie hatten alles richtig gemacht. Wir nicht. Sie hatten ihre Karriere gemacht. Wir hatten unseren Niedergang zelebrieren müssen. Sie waren beispielsweise auf dem Ticket einer Partei voran gekommen. Wir hatten uns mit nichts identifizieren wollen. Wir beobachteten, versuchten, zu analysieren. Dass das ein Luxus war, erkannten wir zu spät. Der Ehrgeiz fehlte uns. Den Preis hatten wir später zu bezahlen. Das „Gestalten wollen“ (was eine andere Formulierung für „Macht ausüben“ ist) übte auf uns keine Anziehungskraft aus. Also sackten wir ab. Schnell, intelligent und offen zu sein lehnten wir als Vorzeigeeigenschaften ab. Das war man auf eine eher selbstverständliche Art. Die Gesellschaft hat sich so entwickelt, dass sie das nicht honoriert, sondern negativ sanktioniert, dass sie das abstraft. Es scheint nämlich darauf anzukommen, etwas zu zeigen, vorzutäuschen, was nicht unbedingt da sein muss. Es gilt die Verkaufe, nie der Inhalt. Blender werden belohnt. Überzeugungen zu haben, ist nicht sehr beliebt. Es gilt vielmehr, „die richtigen“ Überzeugungen zu haben.

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