Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 30. April 2017

Abgaswerte reloaded

Etwas geht mir nach, beschäftigt mich immer weiter: In der SZ las ich diese Woche die Überschrift „Berlin blockiert strengere Abgastests“ mit der Unterüberschrift „Als Konsequenz aus dem VW-Skandal sollen neue Fahrzeugmodelle auch in Deutschland künftig von europäischen Kontrolleuren überprüft werden. Doch die Bundesregierung lehnt Brüssels Pläne ab“. Das hätte ich nicht für möglich gehalten: ganz offen und völlig unverblümt scheint die Regierung Lobbypolitik für eine Autoindustrie zu betreiben, die natürlich nicht kontrolliert werden will. So hat offenbar der Verkehrsminister Dobrindt außer VW auch andere Automodelle darauf überprüfen lassen, ob sie Abgaswerte überschreiten. Die Ergebnisse freilich hält er vorläufig geheim, sie gelangen offenbar bis jetzt nicht in die Öffentlichkeit. Immerhin wurde bekannt, dass von 53 überprüften Fahrzeugen 50 die Grenzwerte teilweise deutlich überstiegen haben. Es wurden sodann drei Zonen geschaffen: Zone 1: Fahrzeuge, die die Grenzwerte um das 2,1-fache überschreiten. Zone 2: Fahrzeuge, die die Grenzwerte um das 3-fache überschreiten. Zone 3: Fahrzeuge, die mit ihren gemessenen Werten auch deutlich noch darüber liegen. Anschließend werden Zone 1 und Zone 2 zusammengeführt und erklärt, dass deren Abgaswerte „unauffällig“ seien (Konformitätsfaktor“ angewandt). Fast gleichzeitig gelangt die Meldung in die Öffentlichkeit, dass eine große deutsche Waffenschmiede eine Panzerschmiede in der Türkei aufbauen will, um von dort aus gewisse Märkte besser, d.h. unter Umgehung deutscher und sowieso lax gehandhabter Vorschriften, bedienen zu können. Dass das alles so offen passieren kann, schockiert mich. Die verschiedenen Schummeleien bezüglich Abgaswerte und Verbrauchswerte sind doch alle bekannt – und scheinen doch von der deutschen Öffentlichkeit geschluckt zu werden, weil von Lobbyisten dicht hinter den Politikern sofort das Argument der Arbeitsplätze aufgebaut wird. Unsere Gesundheit wird dabei offenbar gegen das Argument „Arbeitsplatz“ ausgespielt. Als es in der jüngsten Zeit in Brüssel um das Ziel von wünschenswerten Abgaswerte ging, scheint die Kanzlerin auch blockiert zu haben und erst jüngst war sie sich nicht zu schade, den Dieselmotor, dessen Umweltverträglichkeit ja nicht erst in jüngster Zeit herbe Dellen davon getragen hat, zu loben. Und dann der Trick mit dem „Konformitätsfaktor“, den sich die EU-Komission hat aufschwätzen lassen: Er geht davon aus, dass Straßentests aussagekräftiger sind, als Labortests. Leider kommen bei Straßentests regelmäßig sehr viel höhere Werte zutage, als bei Labortests. Hier kommt der „Konformitätsfaktor ins Spiel, der offiziell ab 2019 gelten soll. Er ist ein Faktor, um den die gemessenen Werte die Grenzwerte überschreiten dürfen. All das kommt mir samt der Reaktion der Öffentlichkeit völlig unsäglich vor. Wenn unser „Wohlstand“ denn auf dem mit einem Verbrennungsmotor betriebenen Auto beruht (was gar nicht sicher ist), dann scheint man für dessen Erreichung buchstäblich über Leichen zu gehen, - sogar über die der eigenen Bevölkerung. Aber das hier Geschilderte ist ja ohnehin alles anders, wie clevere Lobbyisten nach bewährter Art auch durch Klagen richtig stellen lassen wollen. Und die Waffenindustrie scheint für den deutschen „Wohlstand“ auch unverzichtbar. Wow, das darf nicht wahr sein!

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