Reise durch Wirklichkeiten

Mittwoch, 15. November 2023

Melancholische Heiterkeit

Es war ja vergangene Woche viel Loriot, auf allen Kanälen. Zu Recht! Er erschien mir zuletzt (auch ohne runden Geburtstag!) immer mehr als Exponent einer mit der alten Bundesrepublik untergegangenen Epoche, des Einzelhandels, der Etikette, des nach außen dokumentierten Status, der zur Schau getragenen Führungsaufgaben mit samt ihren Ritualen, der spießigen Miefigkeit, die damals herrschte. Aber man lebte in einer gewissen Sicherheit, die Loriot nach meinem Geschmack auf liebenswürdig distinguierte Weise antippte, präzise und – was sich später auszahlen sollte – detailverleibt. Seine Sachen (er war ja eine Universalbegabung!) konnten auf diese Weise einsickern in uns: Steinlaus, Grzimek, Bettenkauf und „Sie haben da was im Gesicht“, „Mutter, wir danken dir“, "Ich heiße Erwin Lottemann..." und Opa Hoppenstedt und Vieles andere. Ich las zuletzt von einer Heiterkeit, einer melancholischen Heiterkeit, die ihn mit einer direkten Verbindung zum schwarzen Untergrund des Lebens ausgestattet habe, die die Tragik nicht leugne und auch nicht weglache, sondern in etwas anderes wende. Nun ja, in was, das ließ das Bildungsbürgertum stets offen. Aber genau das scheint mir der Punkt: Im heutigen Zeitalter der social media-Kanäle, der schnell flüchtigen Aufmerksamkeit und der offen demonstrierten Gewalttätigkeit ist so etwas nicht mehr gefragt. Der Rest des übrig gebliebenen Bildungsbürgertums kreist um sich selbst, ergeht sich in eitler Selbstbewunderung, preist seine verlogene Weltgängigkeit oder ist ohnehin längst abgesunken in ein Prekariat, vor dem sich nur die – „Survival of the Fittest“ – „Tüchtigsten“ noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Gut abgefederte Heiterkeit muss man sich heute mehr denn je leisten können.

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