Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 10. September 2023

Der neue "Chef"

Wer hat das nicht schon erlebt? Tritt irgendwo ein neuer Chef(in), ein Ober, ein Entscheider oder ein neuer TonAngeber X seinen Job an, so gehört es heutzutage zu den gängigen Mechanismen der „Menschenführung“, dass er/sie vieles (manchmal auch alles) ändern muss, was an Arbeitsabläufen anliegt. Verschiedene Erwartungen treten hier auf den Plan: er/sie sollte ja seine persönlichen Spuren hinterlassen, seine „Duftmarke“, er/sie sollte die Abläufe so prägen, dass sie jedem Beteiligten als das Werk des geschätzten X in Erinnerung gerufen werden, ja, dass es sich geradezu in ihn einmeißelt, dass dieser X es ist, der jetzt alles bestimmt (unabhängig davon, ob etwas bis jetzt funktioniert hat). Auch werden gerne lächerliche Vokabeln wie „Gestaltungswille“ oder „Durchsetzungskraft“ bei dieser Gelegenheit in die Welt gesetzt (was mit dem Bedürfnis nach Orientierung und „Geführt-werden“ der Vielen spekuliert). Tendenziell ist so etwas totalitär, macht aber in der Wirtschaft nichts aus, da dort ohnehin alles hierarchisch und weitgehend diktatorisch geordnet ist (trotz aller Demokratisierungs- und Ablenkungsversuche). Es gibt dann ganze Wochenend-Crash-Kurse, die den „Untergebenen“ klar machen sollen, dass ja alle so demokratisch sind und dass alles in Teamarbeit erledigt würde (nun ja, jüngste Ereignisse um einen Automobilfirmenkapitän), dass das Maß an Selbstbestimmung generell und überhaupt hoch sei. Dabei sind dies vor allem (Selbstüberlistungs-)Tricks, die nur ein möglichst hohes Maß an Motivation gewährleisten sollen. Im Endeffekt entscheidet aber nur der, der in der Hierarchie dazu „berechtigt“ ist. Deshalb gehen in der Wirtschaft auch alle Entscheidungsabläufe so schnell. Demokratie ist ein weitgehend mühsameres Geschäft. Hier müssen Interessen verhandelt, kommuniziert und abgeglichen werden, Kompromisse gefunden und vermittelt werden, was am Ende zu einer Entscheidung führt: ein ungleich langsamerer Prozess, der aber weitgehend die Interessen der einzelnen an der Entscheidung Beteiligten berücksichtigen soll. Natürlich gibt es mannigfache Perversionen dieses Prozesses, - unter anderem hat offenbar eine tonangebende Politikerin jahrelang das Wort von der „marktkonformen Demokratie“ in die Welt gesetzt. Kommentar überflüssig. Doch als gedachter Prozess zum Interessenausgleich und zur Entscheidungsfindung ist Demokratie allen anderen Prozessen, gemessen an dem Maß der dadurch erzeugten Zufriedenheit und Innovationsfreude, weit überlegen.

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