Reise durch Wirklichkeiten

Samstag, 3. September 2022

Interpreten und Vermittler

Wer soll diese Gesellschaft einigermaßen überblicken? Journalisten neigen jedenfalls zu oft dazu, ihre eigene, noch immer finanziell gut ausgepolsterte Mittelklasse-Weltsicht, absolut zu setzen. Nun ja, ein paar von Ihnen haben auch allzu engen Kontakt mit denen, die sich als „Spitzen der Gesellschaft“ sehen: Eliten. Dabei könnten sie in einer digitalen Welt relativ zuverlässige Mittler zwischen den immer stärker fraktionierten Wirklichkeitsdeutungen und Lebenswelten sein, könnten einer schweigenden Mehrheit die Relativität und Veränderbarkeit ihrer Weltsicht deutlicher machen. Sie glauben gerne, sie täten das ohnehin implizit, indem sie sich immer wieder neu auf verschiedene Perspektiven einlassen. Doch ist dies ihrer mehr oder weniger ausgeprägten Professionalität geschuldet. Was gefragt sei, so glauben sie gerne, sei Orientierung und klare Vorgaben, sei Handwerk und technisches Können, weniger die Empathie. Überhaupt: Klarheit. In einer unklaren Welt dies zu liefern, ist natürlich schwierig und meist nur mit rhetorischen Tricks zu schaffen. Mit Mimikry und einer gewissen Verstellung, die sich scheinbar einlässt auf die von außen kommenden Erwartungen (Informiertheit, „Auskennen“, „ernsthafte Beschäftigung“... usw.). Vorzugeben, man kenne sich (möglichst überall) aus und sei wegweisender Experte, gehört da zur Berufsrolle. Inbegriffen ist natürlich, man sei der Stellvertreter der Ahnungslosen und der breiten Masse, die das Schauspiel von außen zu betrachten verurteilt ist. Oder hat sich dies Selbstverständnis verändert? Der Spagat gelingt immer weniger, je unübersichtlicher die Verhältnisse werden. Anmaßende Oberflächlichkeit ist das, was oft dabei herauskommt. Mit „journalistischer Distanz“ wird auch gerne eine gewisse Gleichgültigkeit anderen Welten gegenüber kaschiert. Absolutiert wird andererseits das eigene Herzensanliegen, aus dem heraus sehr Subjektives und Beliebiges abgesondert wird und Fakten nahezu beliebig so lange eingruppiert und interpretiert werden, bis sie in die eigene Weltsicht passen. Dies wird gerne mit einem „Liberalismus“ kaschiert und als „Qualitätsjournalismus“ verkauft. Dies alles trägt mehr zur Verwirrung als zur Klarheit bei. Es entsteht ein Biedermeier der Ahnungslosigkeit, in dem ein unprofessioneller Diletantismus der vergesellschafteten Informationsvermittlung blüht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen