Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 13. November 2016

Fernsehdiskussionen

Ich wachte nachts auf, konnte nicht einschlafen. Lesen? Nein, zu müde.... Also eine TV-Sendung ansehen, die ich aufgezeichnet hatte. Ich wählte „Anne Will“ vom vorvergangenen Sonntag, eine Sendung, die sich offenbar mit der Zukunft unserer digitalen Welt befassen wollte. Da saßen die Lobbyisten und Propagandisten dieser digitalen Welt, tauschten Ansichten aus und waren sich sogar mit der frisch gebackenen SPD-Landesvorsitzenden einig: die digitale Welt wird kommen, egal, was sich tue. Arbeitswelt 4.0. olé! Wie ein Schicksal, wie eine Verdammnis wird sie über uns kommen. Es gilt nur, die sozialen Auswirkungen halbwegs abzumildern, sich anzupassen mit allem, was uns gerade noch so möglich ist. Dies (und nur dies!) sei der Fortschritt, so die Botschaft. An der Seite des Halbkreises saß Manfred Spitzer, jener Gehirnforscher aus Ulm, der es gelegentlich wagt, die Stimme gegen solche scheinbaren Zwangsläufigkeiten zu erheben und von der Gehirnforschung aus zu argumentieren. In der Mitte, wie immer, eine scheinbar souverän grinsende und selbstgefällig selbstzufriedene Moderatorin, die versuchte, das Gespräch in ihrem Sinne zu lenken. Alleine schon das gab einen Einblick in den TV-journalistischen Alltag: es gilt Kompetenz darzustellen, auch wenn sie gar nicht da ist. Was zählt, ist der Eindruck von Weltläufigkeit und einem Überblickertum, das "gewöhnlichen" Menschen weit überlegen ist. Von diesem Standpunkt aus gilt es, die richtigen Akzente zu setzen, Allgemeinverständlichkeiten herzustellen und ein Thema zu verfolgen, andere Menschen und Ansichten in die richtige Richtung zu lenken (was meist heißt, ihnen ins Wort zu fallen...). Die auf mich selbstgefällig wirkende Art, in der diese Dame regelmäßig agiert, ist mir schon oft etwas unangenehm aufgefallen. Aber soll's, solange die Quoten stimmen? So etwas werden die durch GEZ-Gebühren abgesicherten ARD-Hierarchen wohl gedacht haben. Nach einer durchaus längeren Zeit, in der Spitzer nicht zu Wort gekommen war (ob das die feine Art der Gesprächsführung ist?), verschaffte der sich selbst das Wort und warf seinem Gegenüber unter anderem „Ahnungslosigkeit“ vor. Dies wollte der nicht auf sich sitzen lassen und warf Spitzer nun wieder überlegen grinsend „schlechte Manieren“ vor, worauf ihm der FDP-Vorsitzende lässig assistierte. Anschließend wurde in einer seltenen Einigkeit über Spitzer hergefallen, die diesen sichtlich erboste. Was hier aufeinander prallte, waren Vertreter verschiedener Weltsichten, die sich gegenseitig Ignoranz vorwarfen, weil sie sich keinen Schritt weit auf jemanden anderen einlassen konnten oder wollten. Dies ist in Talkshows so üblich und nichts Erwähnenswertes. In diesem Falle war es der nach meiner Einschätzung aber völlig inkompetenten Gesprächsführung geschuldet, die von vornherein und gut erkennbar eine bestimmte Meinung darstellen lassen wollte, während sie andere Ansichten für abseitig hielt. Ob nun Spitzer recht oder unrecht hat, ob er gute oder schlechte Manieren ausstrahlte, mag dahingestellt sein. Ihn aber über dermaßen lange Zeit mehr oder weniger ruhig zu stellen und nicht zu Wort kommen zu lassen, entspricht meiner Meinung nach nicht einer kompetenten Gesprächsführung und verrät einen Mangel an Empathie, der beachtlich ist. Wie es auch laufen kann, zeigte der Auftritt einer vollverschleierten Dame in der darauf folgenden Woche, die sich so ausführlich so artikulieren konnte, dass dies anschließend ein sehr beachtliches öffentliches Echo fand. Dies mag wohl der Hauptzweck dieses Auftritts gewesen sein und mag die Will-Redaktion genauso wie die durch die Schleier-Dame vertretenen Kräfte befriedigt haben. Die Hauptfrage aber ist doch: ist die sogenannte Digitalisierung etwas, was über einen wie ein Schicksal hereinbricht, - oder ist es erlaubt, die eine oder andere kritische Frage dazu zu stellen, die eine oder andere Einwendung dazu zu haben? 

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