In der Arena
Das
Interesse der Zuschauer hatte allgemein nachgelassen in letzter Zeit.
Einige vermuteten, es hätte eigentlich nie richtig Bestand gehabt.
Dies war jedoch die Meinung einiger unverbesserlicher Pessimisten und
einen solchen Luxus wollte ich mir, für meine Person, noch nicht
leisten. Außerdem waren die Spitzenkämpfe ja nach wie vor bestens
besucht. Ich selbst war ja noch in einem Alter, das zu "gewissen
Hoffnungen" Anlass gab. Jawohl, genauso hieß es in den
offiziellen Verlautbarungen des Verbandes "über die allgemeine
Situation des herangewachsenen Nachwuchses". Man hatte ja auch
in mich investiert und nach gewissen statistischen Berechnungen war
die Möglichkeit meines Erfolges größer als die meines Scheiterns.
So investierte man also, ohne es eigentlich zu wollen. Natürlich
hatte ich ein Recht darauf, man hatte ja lange darum gekämpft. So
ging alles seinen vorgezeichneten Weg.
Mancher
hatte Pech und wurde gleich in die unterste Kaste eingestuft. Viele
drängten sich direkt auf oder kämpften sich den Weg auf andere Art
frei. Dass man dabei vor nichts zurückschrecken dürfe, war die
einzige Regel, die galt. Wieder Andere hatten die sogenannten
Stammplätze. Und dann gab es die, welche überhaupt keine Plätze
belegt hatten. Es war nun niemand klar, wie diese Individuen
einzustufen seien, zumal sie sich einer solchen Einschätzung immer
wieder entzogen und die Qualifikationsrunden einfach keinen
Aufschluss darüber gaben. Es wurden nun Schaukämpfe inszeniert,
durch welche sich diese gemäß dem Beifall des Publikums
qualifizieren konnten. Dieser wurde an der Anzahl der Münzen, die in
die Mitte der Arena geworfen wurde, zuverlässig abgelesen. So konnte
man über die Hoffnungsrunde direkt zu den Endkämpfen aufsteigen. Es
war dies durchaus nicht das Übliche, trotzdem fand niemand etwas
dabei. Außerdem war von den Ausrichtern verbreitet worden, jeder
könne per Los an dieser Hoffnungsrunde teilnehmen, wenn er nur
wolle. In Wirklichkeit war es doch so, dass nur sehr wenige die
Chance hatten. Man munkelte, dass selbst die Veranstalter diese
Teilnahmebedingungen nicht mehr genau kannten, was Leuten wie mir zu
Möglichkeiten verhalf.
Ich
hatte lange zu denen gehört, die mit denen sympathisierten, die dies
alles neu organisieren wollten dergestalt, dass jeder die gleiche
Chance hätte, - oder doch zumindest die Teilnahmebedingungen
einigermaßen klar wären. Man sah jedoch diejenigen, die am
lautesten dafür eintraten, selbst langsam zu den
Verbandsfunktionären aufrücken, oder sich in ihre eigenen Märchen
einspinnen, auf deren Gültigkeit sie dann bei jeder Gelegenheit
bestanden. Sie gaben sich dadurch auf eine gewisse Art dem Publikum
preis, das dies seinerseits nicht honorierte.
Die
Einzeldisziplinen hatte ich immer den Mannschaftsdisziplinen
vorgezogen, was meine Trainer schließlich akzeptierten, nachdem
diesbezügliche Versuche immer gescheitert waren. Und so stand ich
nun bei halb aufgeblendetem Flutlicht alleine in der Arena. Wann der
Kampf begonnen hatte, das hatte ich längst vergessen. Ich wollte nur
noch irgendwie über die Runden kommen, überleben. Das Rückgrat
schmerzte inzwischen, es hatte schon viel aushalten müssen. Die
Wunden brannten allmählich immer mehr, trotz des Sprays, dem meine
Trainer extrem schmerzstillende Wirkung zumaßen, wenn sie mich in
den Pausen damit einsprühten. Ich fürchtete den Zeitpunkt, zu dem
ich den Schmerzen nachgeben würde. Ich wollte nicht mehr nur siegen,
aber ich wollte auch nicht verlieren. Nur durchkommen, auch wenn die
Gefahr bestand, dass man sich selbst am Ende nicht mehr
wiedererkannte.
Ich
war getrieben, aus Angst, aus Verzweiflung, aus Begeisterung, und
sollte immer mehr an die Grenze, den Abgrund gehen. Mein Gegner
tauchte auf, verschwand wieder, manchmal in Begleitung, manchmal
alleine war er doch auf eine Weise, die mich verunsicherte, präsent.
Er schien der Siegertyp, zeigte doch ab und zu zeigte er kleine
Schwächen, Stellen, an denen man ihn treffen konnte, was ich sofort
als meine Chance identifizierte. Diese kostete Überwindung, und ich
musste mich manchmal selbst vergessen, um mich in der Konzentration
auf die Schwächen meines Gegners wiederzufinden. Am Horizont
begannen die Vorbereitungen zu einer Siegesfeier. Ich wusste, wenn es
wieder einmal keinen Sieger geben würde, einigte man sich auf
einen provisorischen Übergangssieger, denn die
Siegesfeier war eigentlich wichtiger als der Sieger selbst. Man
interessierte sich nur für die Bilder, die eiligst von ihm
angefertigt wurden, die der Held dann auch in aller Regel schnell
unterschrieb und als Autogramme in der Menge verteilte. Aber bis
dahin war noch ein weiter Weg für jemanden, der zuviel zweifelte,
zuviel zögerte, wie meine Trainer sagten. Und so musste ich mich
immer wieder auf unterer Ebene qualifizieren, kam voran und blieb
doch stehen. Er verhielt sich äußerst flexibel und griff mal von
dieser, mal von jener Seite an. Dabei versuchte er mich dort zu
treffen, wo ich bereits verwundet war, setzte geschickt seine Finten
und ließ mich von Zeit zu Zeit recht schlecht aussehen. Ich hatte
mir jedoch Routinen angeeignet, die mich immer wieder vor
entscheidenden Treffern schützten. Außerdem hatte ich die Qualität
meines Panzers immer noch zu steigern vermocht, was sich natürlich
in gewissen Situationen auszahlte.
So
konnte ich in den letzten Runden immer wieder aufholen, immer wieder
herankommen, indem ich die Defensive in meinen Vorteil verwandelte
und den Gegner in Fallen gehen ließ. Ich wusste, es würde
empfehlenswert sein, beim Kampfgericht, das von den
Veranstaltern vor langer
Zeit eingesetzt worden war, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Zu
diesem Zweck hatte man sich angewöhnt, es zu Beginn und am Ende
untertänigst zu grüßen sowie seine Autorität mit Worten und
Gesten zu feiern, wann immer sich die Gelegenheit bot. Ohne
eigentliche Überzeugung, fast mechanisch, hatte ich anfangs diese
Rituale mitvollzogen, sie mir dann aber abgewöhnt. Gegenwärtig
neigte ich dazu, sie immer dann einzusetzen, wenn ich in Rückstand
war und wieder aufschließen musste. Man wusste, dass vom Gericht
Zusatzpunkte verteilt würden, die in der Endabrechnung entscheidend
sein konnten. Es kannte jedoch niemand die genauen Kriterien, nach
denen diese Punkte vergeben wurden. Und so versuchte man quasi
aufgrund von Vermutungen eine gute Figur zu machen. Diese Vermutungen
stützten sich hauptsächlich auf Verlautbarungen, die man den
Veranstaltern zuschrieb und die nicht leicht zu verstehen und nach
allen Seiten hin auslegbar waren.
Im
Innenraum der Arena waren auf allen Seiten Spiegel aufgestellt, die
eine Orientierung erschwerten. Die Geschehnisse im Innenraum wurden
durch sie scheinbar verdoppelt, ins Mehrfache gesteigert. Vorstellung
und Wirklichkeit verschwammen sich multiplizierend ineinander. Dies
trieb einen mitunter zur Verzweiflung, erlaubte jedoch gleichzeitig
Flucht und Rückwege, auf die ja speziell meine Taktik abgestimmt
war, deretwegen ich mir jedoch schon mehrere Verwarnungen wegen
Passivität eingehandelt hatte. "Achtung, Achtung", so
tönte der Lautsprecher: "Herr Affenmüller möge bitte zum
Stadionausgang kommen, es erwartet ihn eine Überraschung!",
und: "den Anweisungen des Ordnungspersonals ist unbedingt Folge
zu leisten, andernfalls werden Verhaftungen vorgenommen!"
Auf
den leeren Rängen regte sich immer noch nichts. Vereinzelt waren
Schreie, Lachen zu hören. Doch war nicht klar, von woher dies kam.
Ich war auch zu sehr auf mich und diesen Kampf konzentriert, so dass
ich mich nicht in der Weise darum kümmern konnte, wie ich es
eigentlich wollte. Die Beunruhigung allerdings nahm zu. Man hatte in
den letzten Tagen über Bestrafungsaktionen gelesen, doch wusste
niemand, wieso und warum. Es hoffte nur jeder, dass es ihn nicht
treffen solle, man versuchte diese Vorkommnisse so gut es ging zu
ignorieren.
Gong
zur nächsten Runde, und ich stürzte, die Zitrone noch zwischen den
Lippen, aus meiner Ecke. Mein Gegner war wieder verschwunden, was zu
seiner Strategie gehörte, ich hatte mich daran gewöhnt. Vielleicht
wollte er aufgeben, wahrscheinlicher war es, dass er die Absicht
hatte, mich zu verunsichern. In den Spiegeln sah ich mich grinsen und
wartete, wartete ............
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