Reise durch Wirklichkeiten

Dienstag, 29. Mai 2018

Geworden

Wir waren vom Geist des Fragens, der Kritik und des Protests durchdrungen. Skepsis, ja sogar Verunsicherung, hatten wir gelernt, als etwas Positives zu deuten. Aber in Wirklichkeit gab es kein „wir“, waren wir längst auseinander gefallen in diejenigen, die sich der Realität möglichst optimal anpassen und „das Beste draus machen“ wollten und diejenigen, die eine Art Fundamentalopposition einübten, die sich nicht so einfach einfangen lassen wollten von den Zwängen, die „das Ganze“ auf einen ausübte, die ihrer Individualität nachjagen wollten. Die sich bewusst werden wollten über Zusammenhänge – und danach handeln. Waren wir in eine durch und durch verwaltete Welt hinein geboren worden? Kafka schon hatte Hinweise gegeben. Aber der galt als schwer verständlich. Ganze Heere von Exegeten, Auslegern und Interpretatoren führten ihre Auseinandersetzungen im akademischen Elfenbeinturm. Ich wollte damals aus diesem Elfenbeinturm ausbrechen und war entschlossen, mich an der empirischen, an der tatsächlichen Welt zu orientieren, auch, indem ich mich ihr gemäß ausdrücke, indem ich eine Übersetzung des Komplexen in weithin Verständliches, also Populäres versuche. Ich wollte Kafka zum Kumpel machen, mit dem wir alltäglich umgehen können. Ich wollte ihn den sogenannten „Eliten“ entreißen. Gleichwohl wollte ich nie eingeordnet werden, gehörte nie einer Bewegung oder Richtung an, verstand mich immer als Einzelkämpfer. Der Bürokratie, der Verwaltung (auch „privater“ Art) hingegen fühlte ich mich ausgeliefert. Mit der Zeit war ich zu einem winzigen Datensatz geworden. „Big Data“ umgab mich nun überall. „Big Data“ wusste alles besser. Konnte Algorithmen so richtig gut anwenden. Mit ihnen umgehen. Kalkulierend.

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