Reise durch Wirklichkeiten

Samstag, 4. November 2017

Insektensterben

Neulich wurde ich Zeuge eines beachtlichen Interviews. Ein Interessenvertreter wurde da nach den Insekten und deren Verschwinden gefragt. „Was wollen sie denn“, so in etwa der Tenor des Befragten. „Alles in bester Ordnung. Studien über das Phänomen liegen ja noch nicht vor. Zumindest das sollte man abwarten“. Das wurde dann den Zuschauern als kompetente Auskunft präsentiert. Dabei lehrt einen alleine schon die unmittelbare Erfahrung anderes. Hinzu kommt Bedenkliches. Waren noch vor wenigen Jahren die Scheiben nach längeren Fahrten mit Insektenleichen und anderem fligendem Zeugs übel verschmutzt und klebte ein übler Chininschmodder daran, sohat sich das jetzt gewaltig geändert: Die Scheiben bleiben sehr weitgehend frei von solcher „Verschmutzung“. So manch einer fragt sich, wo all dieses geblieben sei. Auch bei oberflächlichster Information eröffnet sich ihm ein alarmierender Befund. Dass es ein Bienensterben gibt, scheint sich herum gesprochen zu haben. Dass die Bestäubung der Pflanzen, die ja meist wirtschaftlich „genutzt“ werden, zu einem großen Problem wird, hängt unmittelbar an der Diagnose. Dass aber auch Schmetterlinge und alle anderen Insekten von diesem merkwürdigen Sterben betroffen sind, scheint für viele Menschen noch eine neue Information, obwohl der simple Blick an ihre Windschutzscheibe sie eines Besseren belehren könnte. „Biodiversität“ scheint ein neues Thema unseres Diskurses zu werden, eines, dem sich sogar die Kanzlerin nicht verschließen mag.
Wir haben keine Zeit mehr bis zur nächsten Studie. Handeln ist angezeigt. An dieser Stelle bin ich froh, dass mein Bundesland Baden-Württemberg von Grünen regiert wird. Kretschmann ist sogar studierter Biologe und weiß genau, was die Zeichen bedeuten. Der allzu großzügige Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln in der Landwirtschaft gilt mittlerweile als relativ gesicherte Ursache. Hinzu kommt der Verlust an Lebensraum, die Umweltverschmutzung, die Veränderung der Agrarlandschaft. Die Insektengifte der Stoffgruppe Neonikotinoide stehen aber in höchsten Verdacht, ganz direkt an diesem Insektensterben beteiligt zu sein. Kretschmann will jetzt etwas tun. Dass die intensive Landwirtschaft etwas mit dem Artenrückgang zu tun hat, bestreitet niemand mehr ernstlich. Neue Blühmischungen, überhaupt, eine möglichst vielfältige Artenfolge beim Anbau, eine bessere Betreuung von Naturschutzgebieten und eine bessere Verbindung von Biotopen: ökologische Verbesserung auf breiter Front ist angesagt. Doch den Einsatz von Pestiziden kann letztlich nur die EU regeln. Hoffentlich ist das alles nicht schon zu spät.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen