Die Soziologie
kann einem wunderbar und sehr eindeutig belegen, wie sie sehr man
(vereinfacht formuliert) das Produkt seiner Umwelt ist. Wäre man in
einer anderen kulturellen gesellschaftlichen Realität aufgewachsen.
wäre man womöglich eine anderer. Menschen versuchen, Gruppen,
Gemeinschaften, soziale Verbände zu bilden, um sich gegenseitig
ihrer sozialen Wirklichkeit zu versichern. Sie brauchen das sogar,
weil ihre Identität dranhängt. Das kann man im Alltag wunderschön
überall beobachten. Ich freilich war immer schon davon ausgegangen,
dass mein Ich, meine Identität relativ ist, d.h., dass es von der
Tapete der Normalitäten und Realitäten, die es umgibt, stark
geprägt ist. Würde ich jene austauschen, würde ich möglicherweise
ein ganz anderes ein Stück meines Ichs, meiner Selbst erfahren.
Sich also durch Veränderung weiterentwickeln? Durch Reisen? Die
Umwelt als eine Art Filter der Wirklichkeit verändern und dadurch
eine neue Perspektive auf sie gewinnen? Einst beinhaltete die Reise –
als Bild für etwas wie auch als Realität – ein hohes Maß an
Läuterung und Wandlung. In den meisten Religionen galt das Reisen
als rechte Lebensführung, als Instrument der Katharsis, als Mittel
zur Erleuchtung. Heute ist es vielmehr so: Statt sich im Unbekannten
zurecht zu finden, zahlen Urlauber viel Geld, um Überraschungen
möglichst aus dem Weg zu gehen. Der Sinn des Reisens erschließt
sich auf diese Weise kaum.
Reise allein (ein jeder ist womöglich
alleine), reise ohne Gepäck und reise langsam! - ein jeder ist ja ohnehin unterwegs. Wir suchen das Unbekannte und landen oft im schmerzlich
Vertrauten: Blechlawinen auf Autobahnen und Ringstraßen; Parkplätze,
dichter besetzt als ein Friedhof; Flughäfen, auf denen fortwährend
Flugzeuge starten und landen; verschobene und verpasste
Geschäftigkeit auf Bahnhöfen. Kaum ein Fleck der Erde ist noch vor unserer
stets gegenwärtigen Mobilität sicher. Urlaub ist angesagt. Wie die
Heuschrecken schwärmen wir über jedem vermeintlichen Traumziel aus. Wir sind
viel unterwegs, aber reisen wir? Wir fahren durch die Welt, aber wie
viel erfahren wir von ihr? Sollte Reisen nicht über die Veränderung
der Umgebung hinausgehen? Sollte Reisen nicht ein metaphysischer Akt
des Erkennens sein? Wie sehr gilt für uns noch das maurische
Sprichwort, nur der Reisende kenne den wahren Wert des Menschen?
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