Caravaggio Reloaded
Das habe ich mir in einem Sommer aufgeschrieben:
Ein
Gemälde von Caravaggio bewährt sich auch in großer Hitze, weil es
meist in klimatisierten Räumen steht. Aber auch, weil es uns
hineinzieht in seine eigene Realität und uns scheinbar Lästiges
vergessen lässt. Weil darin eine verdichtete Wirklichkeit aufgehoben
sein könnte. Weil es starke Momente in sich aufgesaugt hat und sie
uns wiedergibt. Weil es aufgeladen ist mit Bedeutungen, - ja, auch
mit den ganz sinnlichen Bedeutungen, - die helfen können, später
wieder in der Hitze hinaus zu gehen. Gestählt. Wieso eigentlich so
etwas den amtlich bestallten Kunstlehrern überlassen, den
professionellen Bescheidwissern und Bildungsbürgern, die so etwas
schon längst abgehakt haben und ohnehin alles besser wissen? Sind
diese Bilder, diese Gemälde eigentlich etwas zum besser wissen?
Alles
vergessen, alles auf der Stelle wegwerfen! Sofort! Am besten sich
hinein fallen lassen in diese Realität, die um die 400 Jahre alt
ist! Erfrischt die Birne besser als koffeinhaltiges Cola. Was für
eine Welt, was für eine Wahrnehmung muss da geherrscht und die Köpfe
beherrscht haben! Ohne Fernsehen und Laptop, Mobiltelefon und Flieger? Ja
ja, die Randbedingungen, die können uns die kundigen Erklärer in
ihren trockenen Worten bestens auseinandersetzen. Welche Funktion
Kunst hatte, Frühbarock und all das. Sie sind ja im Besitz der
allein gültigen Deutung, naturgemäß, und haben ohnehin alle alten
Meister begriffen, Ihre Gemälde sowieso. Jetzt aber endgültig weg
damit! Das ist doch nur eine Möglichkeit! Es gibt aber auch andere
Möglichkeiten, die mehr der Stärke dieser Gemälde selbst vertraut!
Konzentrierte
Momente, zu Bildern geworden, sind sie hier bei Caravaggio. Wir in
unserer Realität konzentrieren uns doch nur noch
gezwungenermaßen, im Job vielleicht. Ansonsten entspannen
wir uns und verpassen die großen Dinge. Dieser Lombarde hat
vielleicht aber die wesentlichen Dinge festzuhalten versucht. Und er
hat sie in sein Licht getaucht. Unglaublich, wie dieser Typ mit dem
Licht umgeht! Wie er seine mit dem Pinsel festgehaltenen und der Zeit
abgetrotzten Momente damit steigert! Dahinter brütet das Dunkle, das
Ungewisse und das Geheimnis. Ob diese Gegensätze auch zum
Wesentlichen gehören? Seine Bilder eröffnen eine Ahnung davon. Sie
ziehen einen hinein. Sofort stellt sich aber auch das Klischee dazu
ein: Caravaggio, der ja eigentlich Michelangelo Merisi hieß, als
verruchter Herumtreiber, als bisexuelles Genie, als Außenseiter,
ewigen Outlaw und unverbesserlichen Rowdy. Für den die göttliche
Liebe mit der sehr irdischen Liebe zusammengefallen sind: Klar, mag
sein. Ist doch egal, ob das alles stimmt, was ihm nachgesagt wird.
Was wichtiger ist: Er hat all das, seinen ganzen Horizont, eingepackt
in seinen Bildern. Auch die afroamerikanische Musiktradition singt
uns dazu so manches Lehrstücklein. Blues, Gospel, Soul, Songs.
„Crossroads“. Dämonen und Engel. Verdichtete Momente. Geschäft
auch. Caravaggio hatte mächtige Auftragsgeber und den Markt im Auge.
Wie ein Popstar. Spagat zwischen der eigenen Identität und dem mit
der Macht der Kohle ausgestatteten Kultur-Establishment. Er hat dann
aber diese unfassbaren Dinger herausgeschleudert. Spirit, -
spirituell. Sprit und Treibstoff aller Art: Trieb und Getriebensein.
Geistiges, Geistliches und die Geister. Aber auch Humor und Ironie
sind darin aufgehoben. Leichtigkeit - und nicht nur der seichte
Abglanz davon.... In der Bilderflut von heute geht so etwas dann doch
nicht so schnell unter. Das ist starker Stoff. Mal ehrlich, dieser
schnellen Klicks und Kicks sind wir doch überdrüssig! Seine Bilder
fordern Zeit und die Bereitschaft, sich einzulassen auf sie. Das
dürfen sie. Das ist gut so. Alle fordern etwas. Aber bei diesen als
Gemälde verdichteten Momenten kommt viel zurück zu uns: auch dieser
lichte Moment, in dem wir gleichzeitig wissen und fühlen, dass wir
endlich sind.
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