Reise durch Wirklichkeiten

Dienstag, 28. April 2015

Micro-Wirklichkeiten

Ich sah im Fernsehen eine Sendung mit einem oberschlauen Professor, der gerade auf sein zweites und drittes Auto verzichtet hat und jetzt eine Sendung über das einfache Leben machte: über das Befreiende, was darin liegt, den Geist zu befreien indem man Bedürfnisse reduziert. Downsizing, Dinge weggeben oder per second hand versetzen, sharing economy - da gehe ich zum Discounter mit den vier Buchstaben und sehe wie die Hausfrauen im breitklobigen SUV vorfahren, um jedes in armen Ländern zu ausbeuterischem Lohn hergestellte Karo- oder Kaki-Hemd für 9,90 mitzunehmen. „Der Pflanzkübel für 5,90 sieht aber auch nicht schlecht aus....“ Danach sitzen fette Ärsche in fetten deutsche Limousinen, um ihre Errungenschaften mit möglichst viel Schaum vor dem Mund („wieviel PS hat denn der?“) und erfindungsreichem Imponiergehabe heimwärts zu fahren. Die Routinen der Alltagswahrnehmung schlagen zu, die Macht des Faktischen macht träge. 
Dabei ginge es vielleicht auch anders. Ein paar Momente innehalten. Erinnern, das wir alle Menschen sind und etwas gemein haben. Zum Beispiel die Kürze unserer Existenz. Ob wir sie dazu nutzen sollten, möglichst effektiv zu unserem eigenen Vorteil gegen andere vorzugehen? Von welcher Ausgangsposition aus? Haben wir nicht nur Glück gehabt, oder sind wir für unsere Lebensverhältnisse gar verantwortlich? Wurden wir vielleicht in eine ganz bestimmte Situation hinein geboren, die uns nahe legte, ganz bestimmte Dinge für „normal“ zu halten? Was eigentlich könnte „normal“ sein? Der kleinste gemeinsame Nennen? Entwickelt sich nicht das, was „normal“ sein könnte, immer weiter? Was heute als normal empfunden wird, kann doch morgen schon völlig abseitig sein, nicht wahr? Es verschwimmen Dinge: was fest ist, wird plötzlich beweglich, flexibel, veränderbar. In einem winzigen Augenblick. Wir sollten ihn womöglich ernster nehmen.    

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