Das Folgende habe ich tatsächlich gefunden, als Notiz, als Aufschrieb. Ob ich davon etwas auf irgend eine Art veröffentlichte? Ich weiß es nicht mehr, denn das Fundstück stammt aus dem Jahr 2002:
Hätte sich
jemand diesen vogelig dreinblickenden Mann mit dem Sonnenhut und der
Nickelbrille lauthals mitgrölend auf einem Rockkonzert vorstellen
können? Oder gar hemmungslos auf einer La Ola-Welle dahinwogend?
Nein, mit den Massen hatte es der Literaturnobelpreisträger Hermann
Hesse überhaupt nicht. Er gab sich als überzeugter Individualist,
als belesener Schöngeist und Eigenbrötler, der vor den Regungen
großer Massen ein ständiges Misstrauen empfand, ja, dem vor ihnen
regelrecht schauderte, ein Image, das er auch vor der breiten
Öffentlichkeit hingebungsvoll pflegte. Just in seinem Todesjahr 1962
war es, als sich die Beatles anschickten, die Popmusik im heutigen
Sinne zu einem Massenphänomen zu machen, nachdem Elvis diesbezüglich
ja schon in den Fünfzigern Dämme gebrochen hatte.
Nein, irgendwo
als kreischenden Fan im Publikum kann sich Hesse kaum jemand
vorstellen. Aber vielleicht auf die Bühne, vor die Massen, da hätte
der Mozart-Bewunderer hingepasst. Als eine Figur, nicht so harsch und
spröde wie Bob Dylan, aber dafür poetisch verspielt wie Leonard
Cohen. Als sanfter Erzähler und Verseschmied, der die Dinge des
Lebens mit bildhaften Versen hätte sehr einprägsam und eingängig
auf einen romantisch klingenden Punkt bringen können. Einer, der die
Ausstiegsphantasien der Flower Power-Kinder - und die
Weltfluchtutopien einer Hippie-Bewegung der sechziger und siebziger
Jahre massenwirksam hätte bündeln und bei Konzerten auf sich
vereinen können.
Und hat er sich
nicht etwa als leiser Apologet des Drogengebrauchs missverstehen
lassen? Nicht umsonst hat ihn der Pop Art-Pionier Andy Warhol in
seinem berühmten Porträt ja als eine Art umnebelten Kiffer
abgebildet. War sein Held Harry Haller im berühmten Roman „Der
Steppenwolf“ auf seiner Reise nach Innen nicht an diversen
künstlichen Paradiesen vorbeigekommen, hatte dabei ein Panoptikum
der phantastischen Möglichkeiten geschaut und die Abenteuer der
anarchistischen Entgrenzung geprobt? Und hat dieser Harry Haller etwa
das Angebot des Musikers Pablo abschlagen können, aus einer
vergoldeten Dose eine Prise weißen Pulvers zum Schnupfen zu sich zu
nehmen?
Ach ja, für die
Hippiegeneration war ja alles so eindeutig, für sie war Hesse ein
Popstar, mochten die verknöcherten Philologen in Europa noch so sehr
vor der Vereinnahmung und Vereinfachung der Gedankenwelt des
Pfarrersohns aus Calw warnen oder ihn in die Nähe der
Trivialliteratur rücken. 1970, 8 Jahre nach dem Tod des 84 Jahre alt
gewordenen Autors, deutete der Drogenpapst und Hochschullehrer
Timothy Leary den „Steppenwolf" als „Meisterführer zum
psychedelischen Erlebnis" und empfahl, „vor deiner LSD-Sitzung
den Steppenwolf als ein unschätzbares Lehrbuch" zu lesen. Der
„wirkliche“ Hesse hat zwar öfters mit dem Dämon Alkohol
gekämpft. Doch über weitere Drogenexzesse ist nichts bekannt.
Schon zu Beginn
der sechziger Jahre waren seine Bücher in den USA zum Bestseller
geworden. Eine ganze Generation schien plötzlich Hesse zu lesen,
seine Werke lieferten das Modell eines Selbsterfahrungstrips. Und so,
wie Hermann Hesse sich selbst und seinen Harry Haller zeichnete, als
Außenseiter des bürgerlichen Welt, als schöpferischer Rebell gegen
die Welt des Festgefügten und Selbstverständlichen, so wollte in
dieser Zeit ohnehin jeder sein. Von den frühesten Werken wie etwa
dem Schülerroman „Unterm Rad“, über den Landstreichererzählung
„Knulp“ bis hin zum „Steppenwolf“ hatte Hesse das Aufbegehren
in der Figur des einsamen Nonkonformisten gezeichnet. Hinzu kam seine
Vorliebe für fernöstliches Gedankengut, das unter anderem ganz
direkt in Werke wie „Siddharta“ und „Die Morgenlandfahrer“
eingeflossen war und nun den Selbsterfahrern in aller Welt die
willkommene Anleitung für die eigene Nabelschau lieferte. Selbst der
sexuellen Emanzipation konnte der im pietistischen Milieu
aufgewachsene Hesse ein paar – aus heutiger Sicht harmlose - Bilder
und Phantasien liefern: so lässt sich Harry Haller als Steppenwolf
in eine Menage a trois mit seinem weiblichen Gegenbild Hermine und
der Prostituierten Maria ein, der der Musiker Pablo noch einiges an
zusätzlicher Würze verleiht. Aber auch der einer Kommune
gleichenden Gemeinschaft von Gleichgesinnten lieferte der schwäbische
Egomane so manches Modell: In seinem unter Pseudonym
veröffentlichten Roman „Demian“ trifft sich eine Gruppe
Suchender sehr verschiedener Art, zu der, wie Hesse schreibt,
„Astrologen und Kabbalisten, auch ein Anhänger des Grafen Tolstoi,
und allerlei zarte, scheue, verwundbare Menschen, Anhänger neuer
Sekten, Pfleger indischer Übungen, Pflanzenesser und andere“
gehören. Dominiert wird diese Gruppe von einer erotisch anziehenden
„Frau Eva“, was dem Titelhelden so manches in verquasten Bildern
ausgemalte Begehren aufbürdet. Modell für die Hippie-Kommune? Oder
gar Vorläufer eines Swingerclubs? Hesse seinerseits hatte sich
zeitweise zu einer Monte Verita bei Ascona ansässigen Gruppe von
nackten Naturmenschen der damaligen Alternativkultur hinzugezogen
gefühlt, die dem bürgerlichen Dasein mit sexueller Ausschweifung,
langen Haaren und Jesus-Sandalen trotzten.
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