Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 14. März 2019

Pflegesystem

Politiker in Deutschland preisen das hiesige Pflegesystem immer wieder als „das Beste der Welt“. Wer konkret damit zu tun hat, dem mögen dabei so manche Zweifel kommen. Ein Alter in Würde verbringen? Schon das Rentensystem sät daran so manchen Zweifel. Missstände in Heimen verhindern? Wer einmal mitgemacht hat, welche Mühe es bedarf, überhaupt einen Pflegeplatz in irgendeinem Heim zu einer konkreten Zeit zu ergattern, dem mögen mannigfache Zweifel aufsteigen, ob es nicht überhaupt ein erster Schritt sein könnte, überhaupt einen solchen Platz zu bekommen? Ob sich nicht gerade dadurch eigene Abhängigkeiten ergeben würden, die so etwas wie „Würde“ von vornherein ausschließen? Ob es nicht eine gesellschaftliche Schere gibt zwischen den Heimen, die ihre Insassen sehr gut versorgen und denjenigen, die teilweise sogar Menschenrechtsverletzungen begehen? Ob hier große Wohlfahrtsverbände wenigstens ein gewisses Niveau signalisieren können? Hm, in den Alltag, ins Tatsächliche: Ob irgendwo Notruf-Klingeln einfach weggedrückt oder in unerreichbarer Nähe angebracht werden? Wie steht es darum, wenn es um ausreichend zu essen und trinken geht? Wie steht es um Zuwendung, Sicherheit und Schutz, den ja diejenigen, die kräftig zahlen sollen, für sich einfordern könnten?
Der zuständige Minister hatte unlängst Auftritte damit, dass er sich rühmte, 13 000 neue Stellen „geschaffen“ zu haben. Bloß, was ist, wenn der Markt so gut wie leer gefegt ist und es bei weitem eine solche Zahl an Pflegern gar nicht gibt (dass in anderen Ländern Leute einfach weggekauft werden, eine Praxis, die man auch in Zeiten der sogenannten Globalisierung als „Neokolonialismus“ brandmarken könnte?... Und die in anderen Industriebereichen ohnehin gang und gäbe zu sein scheint?) Mal völlig abgesehen davon, dass der tatsächliche Bedarf sehr viel höher zu liegen scheint. Ob man sich dafür rühmen kann, wenigstens einen Anfang gemacht zu haben? Und überhaupt, was heißt es, solche Stellen „geschaffen“ zu haben? Ob das heißt, dass solche Stellen bisher gar nicht existiert haben? Ob das möglicherweise etwas aussagt über das „beste Pflegesystem der Welt“? Übliche Erklärungen und Rechtfertigungen: das Geld reiche nicht (Für eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts, aus dem offenbar viele Millionen an Euros in "Beraterverträge" abgeflossen sind...) . Also wäre auch nicht daran zu denken, zusätzliches Personal einzustellen. Ob aber Vorstandsvorsitzende von Pflegeheimbetreibern hohe sechsstellige Summen verdienen müssen? Welche Rolle wohl Gewinn- und Profitinteressen spielen. Tatsache ist, dass der Staat entschieden hat, den Betreibern selbst und dem sogenannten „Freien Markt“ die Fürsorge und die gute Pflege selbst zu überlassen. Klar, "der Markt" soll es richten, er ist von vornherein heilig gesprochen. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen. Die Einführung der Pflegeversicherung schaffte einst (in den neunziger Jahren) scheinbar gute Bedingungen. Plötzlich war Geld vorhanden. Gute Bedingungen. „Wir hatten damals stationäre Pflegeeinrichtungen, Altenheime mit sehr langen Wartelisten, das Dreibettzimmer war gang und gäbe. Wenn Sie heute sehen, dass wir eine Vielzahl von Pflegeeinrichtungen mit unterschiedlichen Ausrichtungen haben, dass wir keine Wartelisten mehr haben, dass die Leute eine Wahlfreiheit haben, dann finde ich, dass die Pflegeversicherung ein Erfolgsmodell ist“„ sagt Karl-Josef Laumann, Landesminister und bei der CDU zuständig fürs Gesundheitliche, in einem Fernsehinterview.
Das Geld, das in den Pflegebereich fließt, ist in kürzester Zeit um 500 % mehr geworden. Waren es Mitte der Neunziger 4 Milliarden Euro, so sind es heute mehr als 26 Milliarden. Es ist ein riesiger Markt entstanden, in dem der Staat die Akteure dieses Marktes weitgehend frei schalten und walten lässt: Selbstverwaltung ist angesagt. Ob das eine Pflege nach sich ziehen könnte, die mehr das Wohl der Betreiber als das der Bewohner nach sich ziehen könnte? Ob das sogar beabsichtigt ist? Hinzu kommt, dass die Politik viele er daraus resultierenden Aufgaben an private Einrichtungen delegiert. Bund, Länder und Gemeinden haben sich längst daraus zurück gezogen, der Staat scheint hier schon lange auf dem Rückzug. „Wir werden das, was wir an Infrastruktur brauchen, ohne privates Kapital gar nicht bauen können“, sagt Karl-Josef Laumann von der CDU dazu. Ob das gute Aussichten sind? Für wen eigentlich? Im „besten Pflegesystem der Welt“?

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