Reise durch Wirklichkeiten

Sonntag, 23. April 2023

Zielgerichtete Sprache

Wie überrascht war ich damals, als ich lernen musste, dass es im Journalismus meist nicht darum geht, sich kurz, klar und präzise auszudrücken, sondern dass die hierarchisch abgestufte Zeilenschinderei und ausführliche Selbstdarstellung als probates Mittel gilt, - falls nicht ohnehin sich aus dem Layout ergebende Zeilenvorgaben die Länge eines Artikels bestimmen. Dem zeitschindenden und selbstgefälligen Blabla war also Tür und Tor geöffnet. Die Qualität eines Journalisten wurde leider allzu oft nach seinem „Output“ bemessen, d.h. einer ausführlichen und mit Füllwörtern gespickten Schwafelei. Fremdworte waren zunächst einmal verbannt, gegen am Bearbeitungsgebiet orientierte Anglizismen oder Computersprache sprach allerdings nichts. Die einfließenden Erkenntnisse der Wissenschaft bedeuteten schon damals, dass es hauptsächlich darum gehe, die Aufmerksamkeit jedes Lesers in einem bestimmten Sinne zu (be)nutzen. Dies führte unter anderem dazu, dass gewisse Hierarchen endlos lange Artikel und Sprachpirouetten fabrizierten, um in alter bräsiger Bildungsbürgerlichkeit und selbstgewisser (Be)Deutungsgewissheit zu demonstrieren, wie gut man doch mit Sprache umgehen könne und wie unendlich wichtig man selbst sei. Das oberflächliche und mit "Keywords" gespickte Streifen von Inhalten war dabei wichtiger als das Verstehen. In anschließenden Konferenzen lobte man sich zu oft in voraus eilend beredter Unterwürfigkeit dann gegenseitig dafür, trug ein paar pro-forma-Kontroversen aus und übte sich einer Buckelei den Wichtigs gegenüber. Man pflegte ja auf diese Weise unter anderem jenes „Networking“, das für Journalisten gerade in Zeiten der Personaleinsparung und des Papiermangels so wichtig erscheint. Auch schien der Aufbau von Barrieren rund um die eigene Wahrnehmungsblase und Verstehenskaste, um die internen und gesellschaftlich heraus gehobenen „Versteher“ ein wichtiges Element. Manchen Journalisten scheint das aber auch nichts genutzt zu haben. Sie fielen trotz eines ausgewiesenen Status den „Rationalisierungen“ (d.h. Personaleinsparungen) zum Opfer, mochten sie noch so große und bedeutungsschwangere Artikel abgesondert haben.

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