Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 27. Oktober 2022

"Sozialneid"

Es ist ja ein gängiger Reflex, dass alle und jede Diskussion zum Thema Einkommensverteilung und Vermögen schnell unter dem Stichwort „Neidreflex“, „Sozialneid“ oder „Neiddebatte“ abgewürgt wird. Nun sollte an dieser Stelle klar zwischen personenorientierter und strukturenorientierter Debatte unterschieden werden. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich über ganz bestimmte Personen oder über Strukturen diskutiere, die hinter gewissen Entwicklungen stehen, die diese Personen wohl begünstigt oder zumindest beeinflusst haben. Diese Personen selbst sind jemanden wie mir völlig egal. Sie sind nur lächerliche arme Würstchen und als Rädchen in einem Gesamtgetriebe interessant, als dem Ganzen ausgelieferte Personen, die ein gewisses Bild von sich selbst pflegen und sich nach gewissen sozialen Spielregeln verhalten. Diese Regeln sind durchaus veränderbar, im Gegensatz zu anderslautenden Behauptungen. Ob die öffentlichen Haushalte eine angemessene Ausstattung haben, wie der Staat und seine Organe damit umgehen, in welchem Zusammenhang mit dem Thema „Geld“ und Neid mit dem Thema Arbeit, Sinn und persönliche Entfaltung stehen, solche Fragen scheinen da zusehends in den Hintergrund zu treten. Wie wäre es im Austausch mit einer „Neiddebatte“ von einer „Gierdebatte“ zu reden? Dass die Klasse der „Manager“ viel zu viel verdiene, sei Sache der Wirtschaft und keinesfalls eine der Grundansichten von Gesellschaft, schon gar nicht der Politik - so heißt es gerne. Die einzig maßgeblichen Faktoren seien dabei Angebot und Nachfrage. Ob eine solche Ansicht von der Vision eines tatsächlich „freien“ Marktes ausgeht? Ob nicht neben dem vielgescholtenen Staat und seinen Möglichkeiten sehr viele Faktoren auf den „Markt“ einwirken, unter anderem auch welche der sozialen Herkunft, der Werteorientierung, der „vertikalen Durchlässigkeit eines Gemeingebildes“ und anderer Faktoren? Nicht nur nach soziologischen Einschätzungen könnte dies ja so etwas wie den Motor einer innovativen Entwicklung ausmachen. Ob die vielbeschworene „Vernetzung“ (also das „Networking“) an dieser Stelle nicht eine gewaltige Rolle spielt? Ob sich da innerhalb einer „Klasse“, einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, nicht eine Kumpelmentalität breit machen kann? Oder ob gar die Machtfrage ganz generell eine wichtige Rolle spielt? Wird man „freie Marktwirtschaft“ und gerechte Verteilung innerhalb einer Gesellschaft so rigide auseinander dividieren können?

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