Ein Durchgang durch Realitäten aus meiner Sicht - Blog von Ulrich Bauer (Ergänzt ubpage.de)
Montag, 23. Mai 2022
Pragmatische Demokratie
Demokratie scheint auf mannigfache Weise in der Defensive zu sein. Überall scheinen Autokratien auf dem Vormarsch. Die Demokratie beruht auf der Idee des mündigen Bürgers. Mündigkeit bedeutet Selbstbestimmung. Aber es ist bequem, unmündig zu sein. Und die Bequemlichkeit, deren gezielte Herbeiführung, ist zu einer Leitidee der Wirtschaft geworden. Es soll alles bequemer gemacht werden. Dazu kommt, dass immer alle ihre Meinung äußern sollen und wollen. Das Nachdenken aber scheint nicht sonderlich beliebt. Alle haben Meinungen, aber nur
wenige denken. Demokratie ist auch die Vergesellschaftung von Herrschaft und die Unterwerfung des Staates unter den Willen der Büger: alle sollen teilhaben am Prozess der Macht. Das Volk ist der Souverän. Das funktioniert im Idealfall, wenn die Bürger dieKomplexität der gesellschaftlichen Aufgaben erfassen, was wiederum
eine möglichst direkte und wenig verfälschte Information voraus
setzt. Ob ein einzelner Bürger die Komplexität der Dinge zu
erfassen vermag? Im vergangenen Jahrhundert gab es dazu in den USA
eine große Kontroverse zwischen dem Journalisten Walter Lippmann und
dem Philsosophen John Dewey. Lippmann ging es darum, eine Form der
Demokratie zu finden, die der Komplexität einer modernen
Industriegesellschaft gerecht wird. Er sah die Lösung in einer
Elitendemokratie, in der die Bürger periodisch Repräsentanten aus
einem vorgegebenen Elitenspektrum wählen können. Lippmann lenkte
seinen Blick auch auf die Rolle von Massenmedien in einer solchen
Demokratie und wies dabei den „Think Tanks“ eine besondere Rolle
zu. „Think Tanks“ sind vereinfachend dargestellt, Zusammenballungen
von sogenannten „Experten“, die die ausführenden Eliten beraten solle,
also Forschungsvereinigungen etc. Der mündige Bürger galt ihm nichts.
Lippmann ging es darum, wie sich Macht möglichst effizient organisieren ließe.
Dewey hingegen ging es darum, wie sich Macht wirksam begrenzen ließe.
Lippmann sagte: Bürger haben weder Wissen noch Interesse, sie seien gekennzeichnet
durch Ignoranz, Apathie und Vorurteile und hätten einen Mangel an
Denk- und Handlungsfähigkeit. Die breite Öffentlichkeit besehe aus
unwissenden und lästigen Außenstehenden, deren Rolle in einer
Demokratie die der Zuschauer sein müsse, nicht aber die von
Mitwirkenden. Bürger dürften lediglich periodisch ihre Stimme einem
der verantwortlichen Männer verleihen und sollten sich dann wieder
auf ihre kleine überschaubare Privatwelt beschränken. Demokratie
sah Lippmann als eine politische Formation, in der vor allem Experten
bestimmte Probleme lösen. Demokratie kann in seinem Sinne (Und dem
der heutigen Politiker?) nur funktionieren, wenn sie keine ist. Das
ging dann später in eine neoliberale Demokratie über, der den
„freien Markt“ zum kompetentesten Löser aller Probleme erklärt.
Es geht in diesem Sinne darum, eine „marktkonforme“ Demokratie zu
schaffen. Ob uns das nicht ein bisschen bekannt vorkommt? -….Demobilisierung?
Bei Dewey hingegen hängt die Mündigkeit des Bürgers und seine
Demokratiefähigkeit davon ab, dass ein öffentlicher Debattenraum
intakt ist. Dewey: „Wenn der Bevölkerung die relevaten
Informationen nicht unverzerrt zur Verfügung stehen und der
öffentliche Debattenraum eingeschränkt ist, gibt es keine
Möglichkeit, ein Urteil über die politische Kompetenz der Bürger
abzugeben“. Ob uns das auch an die Aktualität, die Rolle der
Gesellschaft und ihrer Informationsbeschaffer, der Journalisten,
erinnert? Die Formung und Lenkung der öffentlichen Meinung
jedenfalls scheint zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden zu
sein. Hier gibt es keinen freien Diskussionsraum mehr, sondern ist
etwas, was von einem ganzen Industriezweig, der PR, die als Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit auftritt, geformt wird. Man müsse
insofern die „notwendige Wirkung des vorliegenden
Wirtschaftssystems auf das gesamte System der Öffentlichkeit“
untersuchen und fragen, „wie weit echte geistige Freiheit und
soziale Verantwortung in irgendeinem größeren Umfang unter den
Bedingungen der bestehenden Wirtschaftsordnung überhaupt möglich
sind“. In seinem Sinne müsste also auch die Wirtschaft demokratisch
organisiert sein. Das hat ein großer amerikanischer Philosoph des
Pragmatismus geschrieben.
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