Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Selbstoptimierung, Selbstwerdung, Neoliberalismus

Wann hast du dich zuletzt selbst wahrgenommen? Diese Frage scheint viele Menschen unausgesetzt umzutreiben. Die dauernde Selbstbespiegelung, die damit verbundene Selbstoptimierung, das Selbst als Statussymbol, der dauernde Griff zum Smartphone, das unser Lebensäußerungen immer perfekter registriert, und die Algithmen immer perfekter programmiert, die ausufernde, uns ständig überfordernde und digital überwachte Körperkultur: das alles gehört zusammen und hat nichts mehr mit Hermann Hesses Streben nach dem Ego entgegen gesellschaftlicher Erwartungen zu tun. Stets noch besser, effizienter und autenthischer zu werden, ist inzwischen ausgerufen als Ideal und widerstrebt diesem Old-School-artigen „Werde, der du bist“ vollkommen. Das Ego scheint heilig. Ob es da nicht weit zum Egoismus ist? Überforderung, Burn-Out, Depression, Erschöpfung, Anorexie, Bulimie, kaputte Partnerschaften, Unfähigkeit zur Beziehung....das alles könnte ein Anzeichen für die auf Perfektion getrimmte Körperkultur und den Zwang zur Steigerung eigener Leistungsfähigkeit sein (die ganz im Sinne einer Durchökonomisierung des Menschen zu sein scheint). Der Philosoph Jürgen Habermas hat das einmal „Kolonialisierung der Lebenswelt“ genannt. Es geht um ein Leistungsdenken im Privaten. Neoliberalisierung aller Lebensbereiche. Vereinzelung scheint die Folge. Der Einzelne als Wirtschaftsobjekt. Menschen benutzen andere Menschen als Werkzeug, um an ein Ziel zu kommen. Die Diktatur des ökonomischen Denkens, seine immer weiter zunehmende Ausdehnung auf alle Lebensbereiche scheint eine Konsequenz, die Leute wie Hesse so nicht anstrebten. Aber sie erkämpften sich den Platz in einer gesellschaftlichen Elite. Hesse selbst war Literaturnobelpreisträger im Jahr 1946.

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