Wann
hast du dich zuletzt selbst wahrgenommen? Diese Frage scheint viele
Menschen unausgesetzt umzutreiben. Die dauernde Selbstbespiegelung,
die damit verbundene Selbstoptimierung, das Selbst als Statussymbol,
der dauernde Griff zum Smartphone, das unser Lebensäußerungen immer
perfekter registriert, und die Algithmen immer perfekter
programmiert, die ausufernde, uns ständig überfordernde und digital
überwachte Körperkultur: das alles gehört zusammen und hat nichts
mehr mit Hermann Hesses Streben nach dem Ego entgegen
gesellschaftlicher Erwartungen zu tun. Stets noch besser, effizienter
und autenthischer zu werden, ist inzwischen ausgerufen als Ideal und
widerstrebt diesem Old-School-artigen „Werde, der du bist“
vollkommen. Das Ego scheint heilig. Ob es da nicht weit zum Egoismus
ist? Überforderung, Burn-Out, Depression, Erschöpfung, Anorexie,
Bulimie, kaputte Partnerschaften, Unfähigkeit zur Beziehung....das
alles könnte ein Anzeichen für die auf Perfektion getrimmte
Körperkultur und den Zwang zur Steigerung eigener Leistungsfähigkeit
sein (die ganz im Sinne einer Durchökonomisierung des Menschen zu
sein scheint). Der Philosoph Jürgen Habermas hat das einmal „Kolonialisierung der Lebenswelt“ genannt. Es geht um ein
Leistungsdenken im Privaten. Neoliberalisierung aller Lebensbereiche.
Vereinzelung scheint die Folge. Der Einzelne als Wirtschaftsobjekt.
Menschen benutzen andere Menschen als Werkzeug, um an ein Ziel zu
kommen. Die Diktatur des ökonomischen Denkens, seine immer weiter
zunehmende Ausdehnung auf alle Lebensbereiche scheint eine
Konsequenz, die Leute wie Hesse so nicht anstrebten. Aber sie
erkämpften sich den Platz in einer gesellschaftlichen Elite. Hesse
selbst war Literaturnobelpreisträger im Jahr 1946.
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