In Frankfurt ist Buchmesse, wozu mir folgendes
einfällt: Die Literatur könnte ein sehr probates Mittel sein, um
sich in andere Köpfe, andere Weltsichten, andere Gefühls- und
Sinnwelten hinein zu denken. Möglicherweise ist ein solches Einüben
von Empathie sogar eines ihrer Hauptanliegen. Blöd nur, dass wir uns
Literatur von professionellen Kritikern und Auskennern empfehlen
lassen, die jeden Bezug zur Einwirkung auf die eigene oder die
Persönlichkeit anderer verloren haben. Sie sind Spezialisten wie
alle anderen auch, wenden ihre einmal gewonnenen Maßstäbe auf
wechselnde Objekte an und setzen ganz auf die Trennung von Kunst und
Wirklichkeit. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, so ihr
strenges Diktum, das auch das der „gebildeten“ Bürgerlichkeit
ist.
Und so kann es durchaus sein, dass auch Nazis und
andere Gangster gewisse Literatur mochten, sie sogar bewunderten. In
dieser Weltsicht gibt es nur ein „Gut gemacht“, „hat mich
erreicht“, „berührt“, "ist langweilig" usw. Literaturkritiker sind Spezialisten,
die möglichst viel in möglichst kurzer Zeit möglichst kompetent zu
verarbeiten haben. Gelegentlich sind sie dann als sogenannte
„Kundige“ auch in Jurys geladen und verleihen sich gegenseitig
Preise, was eine zusätzliche Legitimation für sie und die von ihnen
umgarnte Gesellschaft darstellt. Angesichts der schieren Masse der
per Literatur „angebotenen“ Sinnwelten, verlangt der Kunde Leser
nach einer Orientierung, die ihm die beruflich dazu aufgestellten
Kenner liefern sollen: als eine Bewusstseinsware, die von den
Checkern ja nach persönlichem Gusto abgelehnt oder in höchsten
Tönen belobigt wird. Das liege in der Natur der Sache, so ihr Credo.
Die Fernsehrunden legen Zeugnis davon ab, welchen Showeffekt solche
Spiegelfechterei haben soll. Blöd nur, dass allzu vieles dabei nur
im ungünstigen Sinne eitel wirkt. „Im ungünstigen Sinne“? Ich höre schon die Einwände: "jeder Mensch ist doch eitel!", - muss eitel sein. Selbstdarstellung ist doch eine "Herausforderung" der Zeit! Bewusstseinsaristokraten wollen dargestellt sein, ihr Diktum fällt wie ein Spruch von Zeus vom Olymp.
Ob da auch Interessen der
Bewusstseinsindustrie ihren Einfluss haben? Die Mitglieder der
sogenannten „Gruppe 47“, die sich im Jahr 1947 konstituiert hat
und als Literaturkritiker Reich-Ranicki oder Walter Jens gegen
Schriftsteller wie Günter Grass oder Uwe Johnson aufbot, hätte so
etwas weit von sich gewiesen. Und doch hat sie einer weitgehend
statischen Wiederaufbaugesellschaft das kritische Feigenblatt der
einer scheinbar kritischen Hinterfragung geliefert.
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