Reise durch Wirklichkeiten

Donnerstag, 7. Mai 2015

Beim Arzt

Ich war beim Arzt. Volle Besetzung, Personal im Sprechzimmer unterwegs. Sie schwirren in ihren weißen Aufzüglein herum und zeigen ganz offensichtlich, dass ihnen sowohl Job als auch Patient total egal sind. Ob das „früher“ auch so war? Alles der Reihe nach: Sie werden schlecht bezahlt. Das Gesundheitssystem leistet nur noch so etwas. Nur die Pharmaindustrie floriert da noch und macht riesige Gewinne. Aber Ärzte sind ja zum wirtschaftlichen Handeln aufgefordert, bekommen für das Reden mit ihrem Patienten kaum noch Honorar (sagen sie...). Sie besuchen bei den großen Pharmakonzernen Fortbildungen, die in Wirklichkeit Werbeveranstaltungen der Pharmas sind. Sie wollen operieren und müssen "blutig entlassen". Fallpauschale (was für eine miese Lenkungsleistung der Gesundheitspolitik!, die privat mit dem höchsten Quotienten versicherten Politmanager des Grauens!!!). Solche "Ärzte" rezeptieren sofort. Chemie als Allheilmittel. "Behandlung", Redux und Minimal. Das, was unbedingt nötig ist. Wer mehr will, muss sich privat versichern. Die Zwei-Klassen-Medizin zeigt sich auch hier. Die Polarisierung wird noch weiter voranschreiten. Es führt dies alles zu einer einseitig funktionellen Beziehung zwischen Arzt und Patient, bei der die eine Seite das Gefühl hat, es gehe nur noch um ihr (spärliches) Geld, um das Entgelt, das solidarische Kassen noch zahlen können und wollen. Die andere Seite will möglichst hohe Profite, will ihren gesellschaftlichen Status demonstrieren. Bevölkerungspyramide, Demographie, medizinischer Fortschritt, das ganze bereit stehende Geschwätz steht für jede Sparrunde als Legitimation bereit. Doch allenfalls Pflichterfüllung ist angesagt. Diese Pflichten sind klar definiert. Kulanz kommt kaum mehr vor. Interesse für den Job wird nur noch vom Arzt selbst simuliert, wobei seine Rezeptaufschriebe und Schnelldiagnosen auch vom Internet automatisiert bewältigt werden könnten (diese Leute selbst geben ja ganz die Automaten). Sie geben eine Klasse von Menschen, denen durch Leistung erworbene hohe Verantwortung (Richter, Justizwesen) zugeschrieben wird, und die sich deswegen Privilegien sichern. Scheinbare Elite. Klassisch. War immer schon so. 
Doch der Geisteswissenschaftler, der seit Jahrzehnten Taxi fährt, hat auch studiert. Ein Mediziner erwirbt den Doktortitel quasi im Vorübergehen, er hingegen hat lange gebimst. Er ist inzwischen beim Hartzen angekommen, dieser Geisti-Akademiker. Gesellschaftlich gesehen: ganz unten. Unternehmensberater würden sagen: er hat den Wettbewerb verpasst. Er hat ihn verloren. Wo es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben. Wie tritt man ihm eigentlich als Mediziner gegenüber? Welche Legitimation leitet man für sich für die selbsternannte Rolle als Elite ab? Man ist als Jung-Geisti damals seiner Neigung, seinen vermeintlichen Talenten, seinem eigenen Kompass zum Glück nachgegangen (so, wie man das damals immer gepredigt bekommen hat, - heute glauben sie solchem Geschwätz nicht mehr, Karriere ist angesagt, Chancen, schnelle Kohle...) – und hat den gesellschaftlichen Fehler seines Lebens gemacht.

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