Reise durch Wirklichkeiten

Samstag, 14. November 2020

Momentaufnahme


Das Wort und die Relevanz sämtlicher Äußerungen des Individuums überhaupt
scheint in unserer Gesellschaft doch stark zurück gegangen zu sein. Dabei wird es nostalgisch immer noch gerne simuliert, liebevoll gepflegt, in Nischen gezüchtet - stirbt aber aus. Was vorerst bleibt, sind vielleicht Fragmente, Fetzen, Verfremdungen (auch in meiner Musik). Erinnerungen, gespeicherte Intensitäten, vergessene Strukturen, ein nostalgisches Gefühl von Aufbruch. Anarchisch. Chaotisch. Ich mache mir hier und jetzt auch keinerlei Illusionen über Formen wie Blogs oder Soziale Netzwerke. Sie tragen wohl eher zur Banalisierung des Einzelnen bei, - sie sind Erleichterungen und gleichzeitig geöffnete Schleusen. Der „Einzelne“ (die „Person“) scheint ohnehin selbst sehr stark zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben, indem nämlich heute auch scheinbar lyrische Texte industriell, arbeitsteilig und geradezu maschinell hergestellt wurden und zunehmend werden. Der Druck auf die Tränendrüse ist etwas Gekonntes. Der Wutausbruch wird planmäßig herbeigeführt (jeweils beim „Durchschnittsuser“). Die Aufmerksamkeit wird gelenkt. Die Lüge beherrscht unmerklich vorrückend und die Gedanken verschleiernd das Feld. Es herrscht das Kollektive, der Schwarm, die Masse, „Big Data“, der Algorithmus, das kalte Berechnen, - auch gerade der Emotionen.
Klar, dass diese Szenerie im Gegenzug die „Experten“ (in die oft das Individuelle“ hinein projeziert wird) zu ihrem Spielfeld gemacht haben. Spezialisten drängen sich vor und erklären das Allgemeine für ihres. Sie kennen sich aus. Sie scheinen über Spezialwissen zu verfügen, wissen es besser. Das Überindividuelle (z.b. Auswahl aus 30 Yogurths) findet sein Gegenstück im gleichförmig Uniformellen. Das technokratisch „Gekonnte“ scheint das Ideal, nicht das Erschaffene, aus dem Nichts Geschöpfte, das mit Erfahrung Unterfütterte. An seine Stelle tritt das zurecht Manipulierte, das Angeordnete, das Programm. Reize werden abgerufen. Das „Tun-so-als-ob“ beherrscht die Szenerie. Eine Scheinindividualisierung verkauft sich, wird im Hintergrund aggregiert und zu Werten verarbeitet. Fingierte Authentizitäten überwältigen. So werden z.b. Songlyrics in der Popmusik heutzutage „gemacht“, zusammengesetzt aus Versatzstücken, aus Phrasen, Klischees, aus synthetischen Perspektiven. Es wird alles immer austauschbarer, es wird zur kalten Ziffer, zur Zahl, zum manipulierten Etwas. Das Analoge, das im alten Sinne „Tatsächliche“, wird von grinsenden Technokraten oft zum disfunktionalen (Kosten-)Faktor erklärt und sofort ausgemerzt. Freigesetzt. Entlassen. Hinaus geworfen.

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