Reise durch Wirklichkeiten

Montag, 7. Oktober 2024

Der Wagner

Auszug aus meinem Buch „Zuhören“, das auch Besprechungen einiger von mir besuchter Konzerte bringt. Am Sound der folgenden Band hing ich lange Jahre, ich verdaute das in meinem Empfinden und meinem Hirn, bezog es in mich ein, lebte damit: „Was ich gerade höre?“: Mit dieser Frage hatte ich viele meiner derzeitigen Blogs eingeleitet, was von Anfang an so geplant war. Ich wollte das, was mich beeinflusst hatte, auf diese Weise streifen und es manchmal sogar wiederentdecken. Die Produktionen, die mich und mein Weltbild beeinflusst haben. Zum Beispiel dieses Album: Lambchop „Is a Woman“. Das Album war immer bei mir, seit es 2002 erschienen ist. Ich hole es oft hervor. Ich lasse mich in diesem Gefühl gehen, lasse mich an den CDs entlang schlendern und irgendwohin zugreifen. So, wie mir der Sinn steht. Oft greife ich dann zu Lambchops „Is a Woman“. Dies Album scheint eine Art mittel- und langfristiger Stimmungslage wiederzugeben, die mir noch immer sehr gemäß ist. Ist es melancholisch? Nein, eher lakonisch. Es ist ein undramatisches „Vor sich hin stammeln“, gebettet auf weichen Klängen, die sanft ineinander fließen, ohne sich damit jemals anzubiedern. Es ist eine Art „realistischer Musik“, die in sich versunken ist: „Nothing much to bark about...“. Da ist keinerlei Imponiergehabe. Kein aufdringliches Vorführen oder Verkaufen von etwas. Ich liebe alleine schon diese Haltung. Es ist eher eine Art persönlicher Brief, eine kreative Mitteilung. Wie in einer weichen Trance haucht der Wagner da seine Texte vor sich hin, ein Monolog, ein Selbstgespräch. Poetisch? Klar. Aber was heißt dies Wort schon? Es ist inzwischen völlig entwertet. Kurt Wagners Worte aber helfen der Phantasie auf die Sprünge, ganz sachte, ohne jene Agressivität, die so manch anderen Sprechgesang auszeichnet. Das braucht er nicht. Er scheint seiner Umwelt, - und scheint sie ihm noch so feindselig zu begegnen, - so etwas wie seine Liebe entgegen zu bringen. Seine Texte sind manchmal weitschweifig, nehmen Träume und traumhafte Situationen auf, sind in sich verwoben, gehen einem wie mir seltsamerweise nicht aus dem Sinn. Dazwischen fließen ein paar elektronische Einsprengsel beiläufig hindurch, untendurch. Schon, wie er im ersten Titel „The daily Growl“ anhebt: „“Thought, I felt a chill, thought an underrated Skill, a hazard to the emotionally challenged...“. Ich bin da sofort drin, sie umfangen mich, diese Zeilen, sie geben Trost und Anregung, sei entfernen sich wieder, sie haben eine eigene Dynamik. Sie sehen aus einem regenverhangenen Fenster interessiert auf die Welt. „Gentle Revolution“, diese Wendung kommt dann noch bald hinzu. Ich sehe den Sänger, - vielmehr: die Stimme - Kurt Wagner, den ich tatsächlich einmal live erlebt habe, dazu mit seinem Hut. Unter seinem Hut. Schmucklose Verse, weit entfernt von jener Helene-Fischer-Welt, die die Musikindustrie mit allen ihren Tricks den Leuten da draußen so munter andient. Sind Lambchop, jenes Künstlerkollektiv aus Nashville, eigentlich ein bisschen verschwunden? Fast scheint es aus heutiger Sicht so. Aber es entspricht jener Rolle, die sie da mit „Is a woman“ und anderen Alben so wunderbar angedeutet haben. Ein Phantom, von dem man nix Genaues weiß. Lambchop war ja auch eine Band mit wechselnden Mitgliedern, ohne Stargesichter, ohne lächelnde Verkaufsflächen. Eher ein Spiegel, mit der Möglichkeit unseres Selbst. In die Band Arcade Fire wurde zb. auch so etwas hinein projeziert. Lambchop sind da meiner Meinung nach aber viel näher dran. Noch im Jahre 2002 schrieb ich über einen Auftritt von Lambchop: „Kotelett, serviert auf doppeltem Boden“ - Lambchop in der Manufaktur in Schorndorf - Wieso soll das Lammkotelett eine Frau sein? Eine Frage, die uns bewegt, seit Lambchop ihre neue CD "Is a Woman" auf die Welt gebracht haben. Allein die Antwort, sie ist und bleibt das Geheimnis von Kurt Wagner, des Sonderlings aus Nashville, der als Sänger und Songschreiber diese wunderbare Platte so maßgeblich geprägt hat. Es wohnt noch so manches andere Geheimnis in Lambchop, jenem Kreis von Musikern, die einem normalen Tagesberuf nachgehen und abends ihren musikalischen Ideen einen weiten Auslauf gewähren. 17 waren sie, als sie mit der CD "Nixon" einer seltsamen Figur der jüngeren US-Geschichte nachspürten und dabei eine verschrobene Fusion aus Country und Soul auf die Beine stellten. 17 Musiker waren sie auch, als sie "Is a woman" jenen völlig intim wirkenden Rahmen gaben, der lauter schräge und auseinander strebende Elemente so überzeugend zu einer Einheit fasst. Und jetzt versammeln sie sich zu acht um jenen bebrillten Kauz in der Bühnenmitte, der auf einem Stuhl sitzend seine eigentümlichen Verse krächzt. Würden sie es schaffen, die in sublimen Klangfarben schillernde Atmosphäre der Platte auf die Bühne zu übersetzen? Nicht nur diese Frage, sondern auch die Medienresonanz auf die CD mögen bewirkt haben, dass die Manufaktur in Schorndorf an diesem Abend bis auf den letzten Platz gefüllt ist. "Down the street you go, rumors of a one man show, how silly we can be about the future...": jene Stimme, sogleich durchsticht sie den Song "Daily Growl" so mit ihren scharfen Betonungen und einer Sehnsucht, dass er geradezu zu einem Menetekel wird. Für alltäglich schlummernde Abgründe? Für fremde Zusammenhänge, die uns die Orientierung nehmen? Es bleibt im Geheimnis. Dieser Gesang, der ja in seiner whiskeygeschwängerten Knarrzigkeit viel von einem dramatischen Erzählen hat, er gleitet nun dahin auf einem instrumentalen Film, in dem das Piano mit seinen weichen Harmonien die Führungsrolle spielt. Vom Barjazz mag da manches kommen, von einer Kammermusik des wilden Westens und vom lyrischen Plüsch längst vergangener Radiotage. Das Schlagzeug streichelt sachte die Felle und der Bass setzt leise Akzente, künstliche Aufgeregtheiten sind verpönt. Darüber schillern die Gitarren in allerlei Farben, schrammeln in braver Gleichmut die Akkorde, schwelgen in gläsernem Vibrato, verlieren sich in digitalen Räumen und kreischen auch mal scharf. Hinter alldem tut sich ein unauffälliger Kosmos der elektronischen Geräusche auf, ein Gurgeln, ein Schleifen, ein Quietschen und Quetschen, das dem Ganzen eine unwirkliche Atmosphäre gibt und die scheinbar disziplinierte Harmonie fortwährend in Frage stellt. Die Arrangements sind genau, selbst das seltsame Saxofon-Riff von "The new cobweb summer" und die spitz gefistelten "Ah ah"-Chöre fehlen nicht. Eine feine Doppelbödigkeit durchzieht diese Musik, deren Entwurf von der Platte tatsächlich kongenial auf die Bühne übersetzt ist, ohne in eine feierlich verkrampfte Kunstanstrengung zu verfallen. Im Gegenteil: zwischen den Songs geht es lustig zu, der Pianist Tony Crow erzählt Witze, während der freundliche Biertrinker Kurt Wagner eine Zigarette nach der anderen qualmt. Am Ende sind die zwei Stunden wie ein Traum vorübergezogen, unwiderstehlich, intensiv, anrührend.“

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